Delete: Thriller (German Edition)
Es ist nicht nur denkbar, dass die Welt künstlich ist, es ist im Grunde genommen sogar sehr wahrscheinlich.«
Mina zuckte innerlich zusammen. Sie hatte gehofft, dass er ihr erklären würde, warum genau das nicht der Fall sein konnte. Dass er nun noch Öl ins Feuer ihrer aufkeimenden Paranoia goss, konnte sie gar nicht gebrauchen.
»Wie meinst du das?«
»Ein Philosophieprofessor in Oxford namens Nick Bostrom hat einen Aufsatz darüber geschrieben. Seine Argumentation ist in etwa die Folgende: Aller Wahrscheinlichkeit nach entwickeln wir in naher Zukunft die Fähigkeit, virtuelle Welten zu bauen, in denen künstliche, denkende Lebewesen existieren, die sich der Tatsache, dass sie nur Simulationen sind, nicht bewusst sind. Wenn wir diesen Punkt erreichen, gibt es logischerweise nach kurzer Zeit viele künstliche Universen, aber nur ein echtes. Wählst du nun per Zufall eine dieser Welten aus, dann ist sie höchstwahrscheinlich künstlich. Da du als Individuum nicht wissen kannst, ob du in einem der vielen künstlichen oder dem einen echten Universum lebst, musst du nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip davon ausgehen, dass unser Universum künstlich ist.«
»Okay, wir schaffen tatsächlich künstliche Welten wie World of Wizardry . Und ja, es gibt darin wesentlich mehr künstliche Wesen als Spieler. Aber die Orks und Kobolde in dem Spiel haben doch kein Bewusstsein!«
»Noch nicht. Aber überleg mal, in welcher Geschwindigkeit sich die Technik entwickelt. Vor vierzig Jahren bestanden Computerspiele noch aus reinem Text. Der Spieler bekam eine Beschreibung des Ortes, an dem er war, und konnte simple Befehle eingeben wie ›gehe nach Norden‹, ›nimm das Schwert‹ und ›töte den Ork‹. Sieh dir dagegen heutige Computerspiele an, mit ihrer fotorealistischen Grafik und ihren autonom handelnden Gegnern, die eigene Ziele und Strategien haben. Die können natürlich noch nicht denken. Aber vierzig Jahre sind in kosmischen Maßstäben, und selbst bezogen auf die Geschichte der Menschheit, gar nichts. Immer noch verdoppelt sich die Computerleistung alle ein bis zwei Jahre. Ein Smartphone von heute hat die tausendfache Rechenleistung eines Uni-Rechencenters vor vierzig Jahren. Noch mal vierzig Jahre weiter, und die durchschnittliche Computerleistung hat sich um zwei hoch zwanzig gesteigert – das ist mehr als das Millionenfache. Bis dahin haben die Orks in World of Warcraft wahrscheinlich wirklich ein Bewusstsein. Und selbst, wenn es tausend Jahre dauert – irgendwann wird es zwangsläufig so weit kommen, wenn wir uns nicht vorher selbst in die Luft jagen.«
»Du glaubst also, dass wir in einer künstlichen Welt leben?«, fragte Mina zutiefst verunsichert.
Er lächelte.
»Ich habe aufgehört, irgendwas zu glauben. Und wenn es so wäre, was würde das ändern? Wir verstehen den Kosmos ohnehin nicht mal ansatzweise.«
»Aber diese Wesen, die das Universum gebaut haben … Glaubst du, sie würden … in den Lauf der Dinge eingreifen?«
»Kommt drauf an. Wenn wir virtuelle Welten schaffen, dann aus zwei Gründen: entweder zu wissenschaftlichen Zwecken oder zum Spaß. Wenn unsere Welt ein wissenschaftliches Experiment ist, dann werden die Schöpfer wahrscheinlich eher beobachten und nicht eingreifen. Wenn wir in einem Computerspiel leben, dann könnte es passieren, dass einige der Menschen um uns herum nur leere Hülle sind, gelenkt von höheren Mächten. Ehrlich gesagt komme ich mir manchmal so vor, als wäre ich nur der Avatar eines fremden Wesens – vor allem nach einer durchzechten Nacht.« Er grinste.
Mina bemühte sich, ihre Gefühle aus ihrer Stimme herauszuhalten.
»Wenn … wenn wir annehmen, dass die Welt … wirklich künstlich ist, ein Experiment vielleicht … und die simulierten Menschen finden es heraus. Müssten dann die Erbauer des Universums nicht eingreifen, um zu verhindern, dass ihr Experiment schiefgeht?«
»Du meinst, so wie in Welt am Draht ?«
Mina zuckte zusammen. »Du … du kennst das Buch?«
»Den Film. Von Fassbinder. Ein Klassiker, zehnmal besser als Die Matrix . Für existentialistische Philosophen Pflicht.«
»Und … könnte es so sein?«
»Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran. Die Menschen machen sich schon seit der Antike Gedanken darüber, dass die Welt künstlich sein könnte. Nicht so, wie wir das heute beschreiben würden natürlich. Aber im Grunde ist doch der Glaube an einen göttlichen Schöpfer nichts anderes als der Glaube an den großen Operator, der die Welt in
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