Delete: Thriller (German Edition)
aber es war offensichtlich, dass er schwer gestört war. Er hatte sich anscheinend eine Verschwörungstheorie konstruiert, in der sie selbst aus unerfindlichen Gründen eine Rolle spielte. Vielleicht hatte er Thomas irgendwie infiziert. Wenn der in dieser Sache mit drin hing, konnte er was erleben.
Sie hob die Hände, um Julius zu beschwichtigen.
»Ich glaube, ihr habt euch da in etwas hineingesteigert. Lass uns in Ruhe darüber reden, ja?«
Er sah sich um, als erwarte er, jeden Moment aufspringende Geheimtüren und Horden von daraus hervorquellenden Monstern zu sehen. Er griff in seine Hosentasche und hatte plötzlich ein Klappmesser in der Hand. Sein Gesicht war zornverzerrt.
»Ich hätte es wissen müssen«, stieß er hervor. »Du … du bist eine von ihnen!«
Er machte einen Satz auf Mina zu, die sich gerade noch zur Seite werfen konnte. Das Messer schlitzte ihre Schulter auf. Sie schrie vor Schmerz, stolperte und stürzte zu Boden. Sie kauerte sich wimmernd zusammen, überzeugt, dass er sich jeden Moment auf sie stürzen und ihr die Kehle durchschneiden würde.
Doch er stand nur da und starrte abwechselnd sie und das blutige Messer in seiner zitternden Hand an.
»Es … es tut mir leid«, stammelte er.
Sie richtete sich langsam auf.
»Bitte«, flehte sie. »Bitte lass mich gehen! Ich sage niemandem etwas, ehrlich!«
Er schüttelte nur den Kopf. Dann verließ er den Raum und verschloss die Tür hinter sich, ehe Mina reagieren konnte.
Tränen liefen über ihre Wangen. Sie blinzelte sie beiseite. Heulen konnte sie später noch. Sie betrachtete ihren linken Oberarm. Der Ärmel ihres Sweatshirts war blutgetränkt, doch sie konnte den Arm normal bewegen und die Schmerzen waren nicht besonders schlimm. Wahrscheinlich nur eine oberflächliche Schnittwunde. Sie biss die Zähne zusammen und zog ihr Sweatshirt aus und presste es auf die Wunde. Im Regal fand sie einen alten, verstaubten Verbandskasten aus NVA-Bestand. Das Verbandsmaterial darin war sicher nicht mehr steril, aber es war besser als das Sweatshirt. Sie wischte die Wunde notdürftig sauber. Der Schnitt war nur ein paar Zentimeter lang und glücklicherweise nicht besonders tief, blutete aber heftig. So gut es mit einer Hand ging, legte sie sich einen Druckverband an, froh über den Erste-Hilfe-Kurs, den sie für die Führerscheinprüfung hatte machen müssen. Es gelang ihr, die Blutung zu stoppen.
Doch was jetzt? Der Raum schien ein alter Luftschutzkeller zu sein, vermutlich mehrere Meter unter der Erde. In der Decke befand sich eine etwa zwanzig Zentimeter durchmessende, vergitterte Öffnung, die wohl für die Luftzufuhr sorgte. Jedenfalls spürte sie einen kühlen Luftzug von dort. Doch als sie sich auf einen Stuhl stellte und ihr Ohr daran legte, hörte sie keine Geräusche von draußen, nur das dumpfe Brummen eines Ventilators. Niemand würde sie hören, wenn sie um Hilfe rief, geschweige denn, sie hier unten zufällig finden.
Sie musste ihren Entführer überwältigen, um zu fliehen. Doch dazu brauchte sie ihre ganze Kraft. Also setzte sie sich an den Tisch und aß die beiden Brötchen, die erstaunlich gut schmeckten. Dazu trank sie den lauwarmen Tee aus der Thermoskanne.
Was wusste sie über Entführungen? Normalerweise wurden Leute entführt, um Lösegeld zu erpressen. Die Entführer hatten meist kein Interesse daran, ihre Opfer schlecht zu behandeln oder zu verletzen. Sie wollten Geld und dann unerkannt entkommen. Als Opfer verhielt man sich am besten ruhig und kooperativ. Doch hier lag der Fall offensichtlich anders. Dieser Julius schien sie nicht entführt zu haben, um Geld zu erpressen. Aber was konnte er wollen? Glaubte er wirklich, sie sei eine Repräsentantin jener Wesen, die er für die Schöpfer der Welt hielt? Er schien das allerdings erst ab dem Zeitpunkt gedacht zu haben, als sie ihm gesagt hatte, er sei verrückt. Und hatte er auch Thomas und die anderen entführt?
Sie dachte daran, wie seltsam sich ihr Freund verhalten hatte. Sie dachte an das Buch, das er gelesen hatte. Und plötzlich kamen ihr wieder Zweifel. Was, wenn Julius nicht Täter, sondern Opfer war? Er hatte einen gestörten Eindruck gemacht. Aber wäre sie selbst nicht auch dem Wahnsinn nahe, wenn sie herausgefunden hätte, dass die Welt nur eine Illusion war? Was, wenn diese Admins, wie Julius sie nannte, wirklich hinter ihm her waren? Was, wenn er einen guten Grund hatte, paranoid zu sein?
Sie schüttelte den Kopf. Was auch immer die Wahrheit war, sie musste
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