Delete: Thriller (German Edition)
mehrfach versucht hatten, Mina Hinrichsen zu erreichen. »Herr Klausen und Frau Morani, Sie kommen bitte mit.«
Kurz darauf standen sie vor ihrer Wohnung im dritten Stock eines schmucklosen Altbaus in Friedrichshain. Niemand öffnete. Eine Nachbarin beantwortete ihre Fragen mit einer gehörigen Portion Misstrauen. Nein, sie habe die Gesuchte heute nicht gesehen, auch gestern nicht. Die junge Frau sei sehr ruhig und freundlich, man habe nicht viel Kontakt. Einen Zweitschlüssel hatte sie auch nicht.
»Soll ich einen Schlüsseldienst kommen lassen?«, fragte Klausen.
Eisenberg runzelte die Stirn. Das Eindringen in eine Wohnung ohne Zustimmung des Besitzers war nur bei Gefahr im Verzug gestattet. Da Hinrichsen weder eine Tatverdächtige war noch ein konkreter Hinweis darauf bestand, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte, waren die Voraussetzungen dafür nicht gegeben.
»Nein. Versuchen Sie bitte noch einmal, sie auf dem Handy zu erreichen!«
Klausen wählte die Nummer. Im selben Moment hörten sie durch die Wohnungstür einige Takte düsterer Rockmusik, die sich mehrmals wiederholten.
»Sie hat ihr Handy in der Wohnung gelassen«, stellte Klausen fest. »Sie kann es natürlich einfach vergessen haben, aber …«
Eisenberg klingelte noch einmal. Als niemand öffnete, klopfte er fest an die Tür. »Frau Hinrichsen, hier ist Hauptkommissar Eisenberg. Öffnen Sie bitte!«
Wie erwartet gab es keine Reaktion.
»Rufen Sie jetzt bitte doch den Schlüsseldienst«, entschied Eisenberg.
Es dauerte nur eine Viertelstunde, bis ein Handwerker mit wenigen Handgriffen die Tür öffnete. Eisenberg betrat die Wohnung, gefolgt von seinen Mitarbeitern. Die Wohnung war für eine allein lebende Studentin relativ großzügig, aber schlicht dekoriert. Dunkle Farben überwogen. Eisenberg fragte sich, ob Hinrichsen möglicherweise an Depressionen litt.
In einem kombinierten Wohn- und Arbeitsraum stand ein Laptop auf einem schlichten Schreibtisch. Er war eingeschaltet. Die Landschaft von Goraya war zu sehen. Gothicflower stand reglos in der Mitte. Soweit Eisenberg es erkennen konnte, war Mina Hinrichsen als aktive Spielerin angemeldet.
Im Chatfenster stand der letzte Dialog, den sie geführt hatte:
Tristanleaf: Everyone ready?
Hellcat: Yeah, letz beet em up
Frogster: Go
Trinitykiller: Ready
Jannis84: Ready
FrodosEvilTwin: Okay
Gothicflower: Just a minute, got to answer the door
Jannis84: Oh no, not now!
Frogster: Goth, come on! We’re waiting for 20 mins already!
Tristanleaf: Gothicflower?
Frogster: Let’s go on. We don’t need a stupid orc anyway.
Jannis84: It’s a level 35 orc warrior!
Tristanleaf: Gothicflower, you got 30 seconds, or we’re going to leave without you.
Trinitykiller: Over two minutes! Let’s go now, or I’ll be afk for the next hour.
Tristanleaf: All right. Let’s go.
Auch ohne Varnholts Expertise bezüglich des Spiels konnte Eisenberg erkennen, dass die Umstände hier ganz anders lagen als bei den Vermisstenfällen. Er hatte insgeheim befürchtet, dass auch Hinrichsen im Spiel etwas über die »Welt am Draht« gesagt haben könnte, um kurz darauf spurlos zu verschwinden. Doch das war eindeutig nicht der Fall. Sie hatte offenbar unerwarteten Besuch bekommen und sich einfach nicht mehr um ihr Spiel gekümmert. Vielleicht hatten ihre Eltern sie spontan zum Essen eingeladen, oder eine Freundin hatte sie abgeholt. Auch wenn heutzutage kaum jemand mehr ohne Smartphone aus dem Haus ging, musste das nichts bedeuten. Sie hatte es vermutlich einfach liegen lassen, vergessen.
Eisenberg kam sich albern vor. Er hatte keine Ahnung, wie er Hinrichsen erklären sollte, dass sie unerlaubt in ihre Wohnung eingedrungen waren, ohne wie ein Idiot dazustehen. Doch dann sagte Klausen:
»Sehen Sie mal, Herr Eisenberg.« Er hielt ein abgenutztes Buch mit vergilbten Seiten hoch: Simulacron-3 von Daniel F. Galouye.
27.
Es roch muffig. Minas Kopf pochte vor Schmerzen. Ihr Mund war trocken wie Sandpapier, während sie gleichzeitig vor Kälte zitterte. Sie stöhnte und schlug die Augen auf.
Ein fensterloser Kellerraum, der von einer einzelnen Leuchte an der Decke erhellt wurde. Hellgraue Farbe blätterte von den Wänden ab. Darunter nackter Beton. Sie lag auf einer alten Matratze unter einer grauen Wolldecke mit dem Aufdruck Nationale Volksarmee . An einer Wand stand ein olivgrünes Regal voller alter Kisten und Pappkartons, daneben ein Tisch und zwei Stühle sowie eine mit einem Plastikvorhang abgeteilte
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