Delete: Thriller (German Edition)
irgendwie hier raus!
28.
Was hast du getan! Du hast sie verletzt. Das hättest du nicht tun dürfen!
Aber wenn sie eine von ihnen ist?
Dann wären längst Leute in weißen Kitteln gekommen und hätten dich mitgenommen. Sie ist ein Opfer wie du. Sie hätte deine Verbündete sein können. Doch du hast ihr Vertrauen zerstört.
Vertrauen? Du hast sie betäubt und entführt. Wie hätte sie dir da vertrauen sollen?
Sie hätte es vielleicht verstanden. Vielleicht kann sie es immer noch verstehen. Wenn du es ihr erklärst. Vielleicht kann sie dir verzeihen. Es wäre so schön, eine Verbündete zu haben. Jemanden, mit dem du offen reden kannst.
Und wenn es genau das ist, was sie wollen?
»Mina!«, rufst du durch die geschlossene Tür.
Sie antwortet nicht.
»Mina, ich komme jetzt rein. Ich habe eine Pistole in der Hand. Sie ist entsichert. Stell dich vor das Regal und rühre dich nicht. Wenn du irgendetwas tust, wenn du versuchst, mich anzugreifen, erschieße ich dich. Hast du das verstanden?«
Stille.
Du drehst den Schlüssel im Schloss um und trittst einen Schritt zurück. Die Pistole in deiner Hand fühlt sich schwer an. Sie reißt die Tür nicht auf. Du musst nicht abdrücken. Drückst die Klinke herunter und stößt die Tür auf, die quietschend zur Seite schwingt. Sie hockt auf der Matratze. Hat sich den Oberarm selbst verbunden. Ihr Sweatshirt liegt vor ihr. Blutgetränkt.
Sie sieht dich mit geweiteten Augen an. Ist ganz blass vor Angst. Sie ist schön.
»Es … es tut mir leid«, stammelst du.
Sie sagt nichts.
Du lässt die Pistole sinken.
»Soll ich … soll ich mir deinen Arm ansehen?«
»Ich brauche einen Arzt!«
Du erschrickst. Ist es wirklich so schlimm? Du hättest sie beinahe getötet. Wolltest sie töten. Doch es war nur ein leichter Schnitt am Oberarm. Der Verband, den sie sich selbst angelegt hat, blutet nicht durch. So schlimm kann es nicht sein. Sie will dich nur austricksen.
»Das geht leider nicht. Aber ich bin ausgebildeter Sanitäter.«
Du erinnerst dich an die Übungen mit Papa hier unten. Mit sechs Jahren hast du das erste Mal eine simulierte Wunde verbunden. Man muss immer vorbereitet sein, hat er gesagt. Hat Angst vor dem Krieg gehabt, vor den Amerikanern. Wir leben mitten auf dem Schlachtfeld der Zukunft, hat er immer gesagt. Und dann ist die Mauer gefallen.
Später ist er verbittert an Krebs gestorben. Der Feind ist immer da, wo wir ihn am wenigsten vermuten. War einer seiner Lieblingssprüche.
»Lass mich gehen!« Trotzig klingt ihre Stimme. Ihr Wille ist noch nicht gebrochen. Das ist gut.
Du schließt die Tür und setzt dich auf einen der Stühle, knapp zwei Meter von ihr entfernt. Du legst die Pistole auf den Tisch. Ein Entspannungssignal, und doch ein deutlich sichtbares Zeichen deiner Überlegenheit. Papa hat dir eine Menge nützliche Dinge über psychologische Kriegsführung beigebracht. Er war Oberst der Nationalen Volksarmee, Mitglied des strategischen Planungsstabs. Alle seine Strategien wurden nutzlos, als das russische Brudervolk ihm in den Rücken fiel. Der Schutzbunker, den er unter seinem Haus gebaut hatte – keine Angst, mein Junge, wenn die Bomben fallen, kann dir hier unten nichts passieren – wurde zum Abstellraum. Er hatte die Pistole schon an der Schläfe, damals, 1989. Er hätte abdrücken sollen – dann hätte er sich viel Leid erspart. Doch er war zu schwach. Also musste er mit ansehen, wie sich alles, wofür er gelebt und gekämpft hatte, in Luft auflöste, wie der verhasste Klassenfeind die Macht übernahm. Vielleicht ist sein Krebs eine Folge der inneren Kapitulation gewesen.
Er war ein Idiot. Der Feind war nie im Westen. Er ist hinter uns, in uns, um uns herum. Er ist unsichtbar. Beobachtet uns.
»Warum hast du mich hierher gebracht? Was willst du von mir?«
Du merkst, dass du minutenlang nichts gesagt hast. Du bist es nicht gewohnt, Konversation zu betreiben.
»Ich … ich wollte nicht, dass dir etwas passiert.«
Ihre Augen blitzen auf.
»Mir ist aber etwas passiert! Ich bin entführt worden. Du hast mich mit einem Messer verletzt!«
»Ja, ich weiß. Es … es ist ein Versehen gewesen. Ich dachte, du wärst … eine von ihnen.«
»Also schön. Ich bin keine von ihnen. Darf ich jetzt gehen?«
Du schüttelst den Kopf.
Tränen treten in ihre Augen.
»Ich verstehe das nicht. Wenn du glaubst, die Welt ist nicht real, was macht es dann für einen Unterschied, ob ich in diesem Keller hocke oder nicht?«
Du ringst mit dir. Sollst du es ihr
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