Delfinarium: Roman (German Edition)
keine Ahnung, was, aber ich habe sowieso keine Ahnung.«
Ich muss lächeln.
Susann hört nicht auf zu gucken. Als würde sie etwas aus mir herauslesen. Sie sitzt sehr starr. Aber es ist mir nicht mehr unangenehm, ich starre zurück jetzt.
Nach einer Weile, in der die Uhr getickt hat, öffnet sich die Tür, Max tritt zu uns in den Raum. Er schaut von einem Gesicht zum anderen. Susann schaut weiterhin mich an. Er setzt sich in einen kleinen, braunen Sessel, auch er trägt einen Blaumann, anscheinend sind Partnerlook-Wochen angebrochen. Kurz drängt sich mir das Bild auf, wie die beiden zusammen unter einem museumsreifen Traktor liegen, Schmieröl tropft von oben auf sie herab, und sie sind nackt unter dem Blaumannstoff.
»Martin«, sagt er, »was machst du hier, wo bist du gewesen?«
»Ich habe Susann gerade gesagt«, sage ich, »dass ich möchte, dass sie sich jetzt entscheidet, in diesem Augenblick. Denn ich habe meine Entscheidung getroffen.«
Ich sage ihm, dass die Polizei bald hier sein wird, dass wir warten können oder aber uns vorher entscheiden, dass ich mich entschieden habe und jetzt auf Susanns Entscheidung warte.
»Wie«, sagt er und rauft sich die Haare. Er guckt mich mit großen Augen an. »Ich weiß, wie das läuft, wenn die Polizei hierher kommt und die Dinge regelt, das habe ich schon einmal erlebt! Das mache ich nicht noch einmal mit! Ich lasse mir Marie nicht noch einmal wegnehmen. Nicht mit mir, nur über meine Leiche.«
Er verschränkt die Arme vor der Brust, streckt die Beine lang unter den Tisch, dass sie an meine Marionettenfüße stoßen. »Dann haue ich lieber ab«, sagt er, »Marie.«
Sie wendet den Kopf und blickt ihn an, und ich fühle mich körperlich befreit, ein leises Aufatmen.
»Ich packe die Taschen«, sagt er. »Wir werden hier nicht herumsitzen und warten, oder? Marie? Wir fahren weg, keine Ahnung, wir machen eine Reise, ja? Marie, ich packe jetzt die Taschen und du fährst mit mir, ja? Wir fahren weg, ja? Wir machen noch mal Flitterwochen, okay? Wir beide, Bonnie und Clyde, okay?«
Ich sitze da und schüttle den Kopf, aber es geht mich nichts an, ich sollte es betrachten wie Fernsehen.
Max lacht auf. »Das ist bescheuert, ich laufe aus meinem eigenen Haus weg!«
Er geht aus der Kammer, die Tür bleibt offen stehen.
Susann hat den Kopf gewandt und schaut durch die Gardine aus dem Fenster.
Ich sage: »Ich wünschte, du würdest sprechen, ich wünschte, du würdest handeln, du würdest endlich einmal etwas selber tun.«
Ich wünschte, sie würde wenigstens seufzen. Aber sie bleibt still.
Dann erhebt sie sich und legt die Zeitschrift zur Seite. Sie kommt auf mich zu, auf meiner Höhe verharrt sie, ihre Hand liegt kurz auf meiner Schulter. Dann geht sie aus dem Zimmer. Ich höre, wie sie die Dielentür öffnet und schließt. Ich stelle mich in den Türrahmen, keine Ahnung.
Irgendwann steht Max mit seinen beiden Taschen vor mir.
»Wo ist sie?«, keucht er.
»Weg«, sage ich. »Aufgestanden, weggegangen.«
Ich folge ihm wie ein treuer Hund nach draußen auf den Hof.
Marie sitzt in Max’ Wagen. Sie sitzt auf dem Beifahrersitz des Passats. Ich nehme an, dass das eine Entscheidung ist. Ich könnte heulen, aber ich habe es nicht anders gewollt. Während Max die Taschen im Auto verstaut, schlurfe ich zur Hofeinfahrt hinüber, um das Tor zu öffnen. Der Motor wird angelassen. Ich halte das Gatter für den Wagen auf. Max hat beide Fenster heruntergelassen.
»Wie geht es weiter, Martin?«, fragt er.
Ich zucke die Schultern, ich habe jetzt wirklich Tränen in den Augen.
»Daniel«, sage ich.
»Kannst du uns die Polizei und diesen Henry vom Hals halten?«
»Nein«, sage ich, »ich kann gar nichts mehr, nein.«
Ich bücke mich und blicke Susann an, aber sie schaut nicht, sie beißt sich auf die Lippe. Ich nestle meine Brieftasche aus meiner Jeans. Komisch, ich muss das jetzt klarstellen. Ich halte Susann meinen Personalausweis hin.
Ich sage: »Ich heiße Daniel. Ich heiße Daniel Martin. Martin ist mein Nachname, verstehst du? Ich habe dich angelogen. Ich bin kein Martin.«
Susann sagt nichts, sie schaut mich nicht an, sie streicht sich eine Strähne hinter die Ohren, aber sie lächelt.
»Du machst Sachen«, sagt Max.
»Ja«, sage ich.
»Trotzdem alles Gute«, sagt er, »du Daniel.«
»Euch auch«, will ich sagen, aber ich kriege es nicht aus mir heraus.
Ich stehe da und blicke dem Wagen hinterher mit meinem Personalausweis in der Hand, den Rücklichtern im
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