Delfinarium: Roman (German Edition)
jetzt auf der Höhe von Lüdemeyers Hof, Moment, er verschwindet jetzt hinter dem Ahorn, nein, jetzt kann ich ihn nicht mehr sehen, ja, freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte, auf Wiederhören.‹
Wie High Noon im Western, die Straße leergefegt.
Ich betrete das Haus über die Veranda. Ich betrete die große Küche, aber dort sind sie nicht. Ich öffne quietschend die Tür zum Großmutterzimmer. Susann oder Marie sitzt im Lehnstuhl, im Rücken die Standuhr, auf ihrem Schoß liegt eine aufgeschlagene Zeitschrift, eine Frauenzeitschrift. Sie trägt einen Blaumann, einen Monteursanzug. Der Anblick macht mich sprachlos. Sie liest nicht, sie sieht aus dem Fenster. Und dann dreht sie den Kopf, erst nachdem ich ins Zimmer getreten bin, langsam und wie zeitversetzt, als sei sie auch noch taub geworden und hätte meine jähe Anwesenheit eher gespürt denn gehört. Max Braun befindet sich nicht in diesem Zimmer. Ich schließe die Zimmertür. Sie blickt mich mit fraglosen Augen an und wieder kann ich nichts lesen, keine Schrift in den Pupillen, keine Spur von Bedeutung, aber diesmal regt sich Ärger in mir. Ich stelle fest, dass ich atemlos bin.
»Susann«, sage ich und setze mich auf das Sofa. Sie greift nach ihrer Zeitschrift, klappt sie ohne hinzuschauen zu, setzt sich mit sehr geradem Rücken auf. Hinter ihrem Rücken streicht das Pendel die Zeit weg. Ich sehe draußen hinter der Gardine sich etwas bewegen, ein Schatten wischt vorbei.
Ich sage: »Ich kann das nicht mehr. Ich kann es nicht entscheiden. Es ist zu groß für mich. Oder es hat nicht wirklich etwas mit mir zu tun. Ich bin nicht die Person, um die es geht. Ich bin nicht der Mann für dich. Und du bist nicht die, die mich wirklich etwas angeht. Ich weiß nicht, ob ich mich klar ausdrücke, ob ich verständlich bin. Jetzt kommt es auf dich an«, sage ich. »Susann oder Marie.« Ein einziges Gestotter, und ich gucke sie voll an jetzt, wo mein Blick eben noch wild durch den Raum irrte. Ich betrachte ihr wahnsinnig schönes, glänzendes Haar. Wir schauen einander tief in die Augen. Und ich spüre, dass ich den Halt verliere, dass es ist, wie in einen Brunnen zu stürzen, aus dessen Tiefe es dunkel schillert, dass ich mich gerne an etwas festhalten möchte, und meine Hand greift nach dem Sofakissen neben mir mit dem grob gehäkelten Bezug.
»Du musst es entscheiden und nicht ich«, sage ich. »Du musst wissen, wer du bist oder sein willst. Ich kann das unmöglich für dich entscheiden.«
Susann schaut mich ohne zu blinzeln an, mit einer infernalischen Ruhe, die man aus der Atmosphäre waschen könnte, so wie ein Goldsucher mit einem Sieb den feinen Goldstaub aus dem Schlamm und dem Wasser wäscht.
»Ich dachte, ich kann alleine wegfahren und dich deinem Schicksal überlassen. Aber das kann ich nicht. Ich will, dass du dich jetzt entscheidest, hier, vor mir, dass ich weiß, wie du dich entschieden hast, dass ich es mitbekomme. Ich muss das wissen.«
Ich räuspere mich.
»Vermutlich ist es so«, sage ich, »vermutlich gibt es drei Möglichkeiten.«
Ich schaue die Ornamente auf der Tapete an und da ist wieder dieses Gefühl, absolut mit mir allein zu sein, für mich selbst zu sprechen, die Worte nutzlos in den Äther zu säuseln.
Ich sage: »Wir bleiben hier sitzen und warten, bis die Polizei oder wer auch immer erscheint. Wir lassen andere entscheiden. Ich bin sicher, dass Henry zu Hause mit Petra gesprochen hat, dass Petra ihm alles erzählt hat und die Polizei auf dem Weg ist. Wir warten und sie bringen uns zurück und alles wird wie immer, wie vorher.« Ich hole Luft.
»Oder du entscheidest dich, mit mir zu kommen, du steigst in meinen Wagen, in Henrys Wagen, und kommst mit mir. Aber mein Weg führt ebenfalls nach Hause. Ich habe keine Lust mehr oder keine Kraft, noch weiter vor irgendetwas davonzulaufen. Das scheint mir sinnlos. Du kommst mit mir und ich bringe dich zu Henry oder du kommst erst einmal mit zu uns, zu meinem Vater und mir, oder wir fahren direkt zur Polizei. Das scheint mir das Beste. Ich nehme an, dass es die Gemüter beruhigen hilft, wenn wir ihnen ein wenig entgegenkommen. Das würde ich gerne machen.
Ja, und die dritte Möglichkeit ist, dass du dich für Max entscheidest, keine Ahnung, wie es dann weitergeht, und keine Ahnung, was das dann für mich bedeutet, wie es dann mit Henry weitergeht, aber das ist dann meine Sache beziehungsweise deine Sache und ich komme da schon irgendwie durch. So. Oder du machst etwas ganz anderes,
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