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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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Regendämmer, wie er kleiner wird auf dieser Dorfstraße im Nichts, und mir fällt auf, dass es jetzt das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit ist, dass ich einem Wagen mit gemischten Gefühlen hinterherschaue, so bedeutungsschwer, mich gleichzeitig so leer und so übervoll fühlend. Beim letzten Mal stand Susann neben mir, jetzt sitzt sie im Wagen.
    Ich schließe das Gatter.
     
    Im Haus halte ich den Telefonhörer in der Hand, keine Chance, ihn in einen Mülleimer zu werfen.
    Ich setze mich an den Küchentisch und stelle mir vor, was Henry mit mir macht, wenn er mich in die Finger bekommt. Erst habe ich seine Frau entführt, und jetzt habe ich sie auch noch gehen lassen mit einem Mann, der sie als seine Frau betrachtet. Erst genommen, dann ins Nichts geschickt. Das wird mir Henry schwer verzeihen können.
    Dann verbiete ich mir, nachzudenken, es führt zu nichts.
    Ich warte.
    Hin und wieder stehe ich auf und betrete einen Raum, das Wohnzimmer zum Beispiel, und gebe den Sofakissen einen Schlag mit der Handkante. Oder die Vorratskammer mit dem streng riechenden Schinken am Haken und den Mäusefallen auf den rohen Holzdielen. Ich lasse meine Blicke wandern, ich trinke die Stille. Dann sitze ich wieder am Tisch.
     
    Ich mache einen Gang zum See hinunter.
    Am See ist es windig, es weht mir den Nieselregen ins Gesicht. Ich stehe da und schaue auf die graue Wasserfläche hinaus. Beschaue mir die dunkelgrünen Nadelbäume gegenüber, den grauen Himmel darüber. Die Badeanstalt ist vollkommen leer. Ich weiß nicht, wie lange ich stehe. Ich sauge mich gründlich voll Nässe, ich sauge sie von unten durch die Sohlen hindurch in mich hinein, durch den Boden aus dem See, und ich nehme sie mit meiner Haut durch die Luft auf. Ich wende den Kopf. Zwanzig Meter weiter steht Petra, sie schaut zum anderen Ufer hinüber, dann wendet sie den Kopf und sieht mich an. Ein unwirklicher Moment vergeht, in dem wir beide still in zwei unterschiedlichen Universen stehen, stehend aneinander vorbeitreiben und uns unbewegt in die Augen gucken. Dann dreht sich die Welt weiter, die Universen fügen sich ineinander. Sie schüttelt den Kopf und kommt auf mich zu.
    »Warum bist du nicht mehr ans Telefon gegangen?«
    Ich zucke mit den Schultern. Sie guckt mich prüfend an.
    »Alles okay mit dir?«, fragt sie.
    »Klar«, sage ich, »alles Bestens.«
    Petra lächelt. »Stehst du schon lange hier?«
    »Keine Ahnung«, sage ich.
    »Wo ist Susann, wo ist dieser Mann, dieser Max?«
    »Weg«, sage ich, »sie sind weggefahren, Susann hat sich so entschieden, sie möchte Marie sein oder sie ist es, ich verstehe es nicht. Ich habe sie selbst entscheiden lassen.«
    Petra schüttelt den Kopf.
    »Immerhin, gutes Timing, genau in dem Moment, wo sich hier die ganze Welt versammelt, um sie einzusammeln.«
    »Wer?«, frage ich.
    »Dein Vater ist da. Wir sind gemeinsam hergekommen. Und Henry, um seine Frau abzuholen. Und die Polizei ist da, natürlich.«
    »Hm«, mache ich. »Und du?«
    »Ich habe alles verraten«, sagt sie. »Ich konnte nicht anders. Ich habe die Polizei hierher geführt.«
    »Klar«, sage ich.
    »Ich dachte, ich guck mal nach dir, ich wusste ja, dass du irgendwo sein musst, der Wagen stand ja da. Und ich dachte, besser, ich finde dich als Henry.«
    »Ja«, sage ich.
    Ich sage: »Ich habe Angst.«
    »Zu Recht«, sagt Petra. »Du bist so doof.«
    »Ich weiß«, sage ich.
    »Bleib mal hier stehen«, sagt sie. »Ich sage deinem Vater Bescheid, dass du da bist. Dann kann man Henry schon mal an die Leine nehmen.«
    »Okay«, sage ich.
    »Versprichst du mir, dass du noch hier bist, wenn ich wiederkomme? Ich sage nur deinem Vater Bescheid.«
    Ich nicke.
    »Wirklich?«, fragt sie. »Kann ich mich darauf verlassen? Kann ich dich überhaupt allein lassen?«
    »Ja«, sage ich. »Ich bin ja kein kleines Kind mehr.«
    »Okay«, sagt sie, aber sie schüttelt den Kopf dabei. Dann dreht sie sich um und verschwindet in Richtung von Max’ Haus.
     
    Ich stehe am Ufer des Sees und starre auf das Wasser. Ich stehe und starre, und für einen kurzen, ewigen Moment verliere ich mich ganz. Ich starre auf die Oberfläche und auf einmal sehe ich, wie aus der bleigrauen Fläche zwei Delfine tauchen, schneiden, springen, sie springen zwei versetzte, perfekte Bögen, eine vollkommene Choreographie. Danach sind sie wieder verschwunden und die Oberfläche des Sees beruhigt sich.
    Ich schaue auf das Wasser und denke an Max und Marie und wie weit sie schon weg, ob sie in Sicherheit

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