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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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grau, Häuser als Zielscheiben, nehme ich an. Die Fensterscheiben fehlen, schwarze Rechtecke in der grauen Fassade. Mit Petra würde ich über den Zaun klettern, um diese falschen Häuser genauer unter die Lupe zu nehmen, diese Wohnattrappen, zwischen ihnen herumschleichen im Bewusstsein, etwas Gefährliches und Verbotenes zu tun. Aber alleine habe ich keine Lust, von irgendeiner Granate zerrissen zu werden. Ich klettere nicht über den Zaun. Ich kehre um. Ich gehe nicht zum Supermarkt. Ich gehe nicht über Los. Ich gehe direkt in mein Pensionszimmer.
    Ich sitze in meinem Zimmer und starre meine Füße in den grauen Socken an. Ich habe keine Lust, irgendein Mädchen zu besuchen oder abzuholen. Ich schalte den Fernseher ein. Der Schirm über der Nachttischlampe ist aus hellgrünem Stoff.
     
    Nachts wache ich auf. Ich blicke mich im Zimmer um, sehe es hinter den zugezogenen Vorhängen viel zu früh dämmern. Ich liege da mit dem Arm unter dem Kopfkissen und kann nicht mehr einschlafen, fühle mich hohl und zerbrechlich, als wäre ich ein Schokoladenweihnachtsmann, seltsam leicht und leer, ein süßlicher Geruch geht von mir aus, ein sonderbares, aber gar kein schlechtes Gefühl.
    Ich liege da und merke, dass der Moment da gewesen ist. Er kam und verging, ohne bemerkt zu werden.
    Ich stehe auf und dusche. Ich räume meine Sachen zusammen. Ich verzichte auf das Frühstück. Es ist noch früh, keine sieben Uhr. Ich bezahle für die beiden Nächte, dann verlasse ich die Pension.
    Ich sitze im Auto, weil ich weiß, was ich zu tun habe. Ich wusste es die ganze Zeit, aber jetzt ist der Moment, an dem ich es tun kann, an dem ich es in die Tat umsetzen kann. Es ist keine große Erkenntnis oder so, es ist ganz einfach das Naheliegendste.
    Vielleicht ist es noch nicht zu spät.
     
    Ich fahre zu schnell, 80 darf ich fahren, aber ich fahre beinahe 120. Ich fühle mich gut jetzt, ich bin aufgeregt, aber erleichtert, dass ich mich entschieden habe.
    Ich will jetzt ich sein, vielleicht Daniel, aber das ist egal. Ich will das mit Bedeutung füllen.
    Und es ist egal, welchen Namen ich ihr gebe. Sie ist einfach eine Frau, die nicht spricht, die niemandem gehört, die niemandem jemals wieder gehören will und deshalb aufgehört hat zu sprechen, die eisern ihre Klappe hält. Die nichts ist, weder die eine noch die andere. Etwas, das sich keinen Namen geben lässt.
    Das ist ungeheuerlich. Das ist groß.
    Wenn sie mehr als eine Person sein kann, gleichzeitig hier und woanders, steht auch mir die Tür in alle Richtungen offen.
    Susann. Marie. Es ist egal. Es geht mich nichts an. Ich bin nicht verliebt in sie.
    Ich schalte das Autoradio an. Im Radio läuft Heroes von David Bowie. David Bowie singt: I, I wish I could swim, like the dolphins, like dolphins can swim. Ich drehe das Radio aus, bevor er singen kann, dass er König sein wird und sie Königin und dass sie sie selbst sein werden und Helden für einen Tag.
    Bei derselben Haltebucht vom Hinweg halte ich an. Ich stelle den Wagen ab und laufe über die Landstraße auf die andere Seite. Ich hebe den Deckel vom Mülleimer hoch. Ich schaue auf Getränkedosen und Papier, Apfelgriebe hinunter. Ich habe keine Lust, im Dreck herumzuwühlen, mir die Finger schmutzig zu machen. Ein silberner Subaru hält keine zwei Meter vom Mülleimer entfernt. Die Familie darin starrt mich an. Vater und Mutter vorne, zwei Jungs auf der Rückbank, die sich die Nasen an der Scheibe platt drücken. Ich stehe da mit einem Mülleimerdeckel in der Hand.

18. Ende der Ferien
    Ich parke Henrys Auto vor dem Bushaltestellenhäuschen aus Beton. Plötzlich überkommt mich noch einmal eine große Unsicherheit. Ich mache ein paar Schritte in Richtung des Dorfplatzes, wo die großen, alten Linden stehen. Ich lasse mich mit Lindensaft volltropfen, vielleicht hilft das. Ich stehe da und atme. Der Himmel verdunkelt sich. Es beginnt zu regnen. Ich gehe zum Auto zurück. Ich setze mich ins Auto und löse den Wagenschlüssel von meinem Schlüsselbund. Ich lege ihn auf das Armaturenbrett.
    Dann gebe ich mir einen Ruck. Meine Füße arbeiten sich wie zwei Fremdkörper am Kopfsteinpflaster ab, schwere, plumpe Marionettenfüße. Ich spüre körperlich, wie ich aus den Fenstern beobachtet werde. Hinter den Gardinen sitzen sie und schauen mir zu, wie ich gehe. Sie haben den Telefonhörer am Ohr, um die letzten Informationen an das zuständige Polizeirevier weiterzugeben: ›Er geht jetzt hier die Straße entlang, ja, er befindet sich

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