Delhi Love Story
beiden gehen durch die glühend heißen Glastüren auf die Terrasse. Das ist es also, denke ich und sehe mich um. Eine Gemeinschaftsterrasse statt eines Gartens und ein grün-weiß-gestreifter Sonnenschirm statt eines schönen, schattigen Plätzchens. Mir zittern die Knie, aber ich zwinge mich, bis zur Brüstung am Ende der Terrasse zu gehen. Unter mir breitet sich das Wäldchen wie ein orange-grüner Teppich aus. Mir wird schwindelig. Nein, ich werde mich nicht übergeben, auch wenn sich mir gerade der Magen umdreht.
Kaum sind wir wieder im Hotel, ruft Ma Nana und Nani an. Bei uns ist es vier Uhr nachmittags, bei ihnen halb sieben in der Früh. Arun-Mama geht erst nach dem 20. Klingeln ans Telefon. Er hat es nie geschafft, seinen Anrufbeantworter einzurichten.
»Hallo?«, höre ich ihn murmeln.
»Wach auf, Arun, ich bin’s, Isha«, sagt Ma. »Ich habe eine Wohnung gefunden.«
»Was?«
»Eine Wohnung, Arun! Wir ziehen nächste Woche ein!«
»Isha?«
»Gib mir mal deine Mutter.«
»Aber Isha, es ist mitten in der Nacht!«
»Das stimmt nicht, es ist Sonntagmorgen!«
»Sonn – gute Nacht, Isha!«
»Arun, warte! Arun! Hallo?«
Ma sieht mich verblüfft an, als die Verbindung mit einem Klicken getrennt wird.
»Keine Sorge«, beschwichtige ich sie. »Ich werde später bestimmt nicht wie dein Bruder.«
»Brav.«
Sie seufzt, blättert in ihrem Adressbuch, nestelt an dem Ring an ihrer rechten Hand herum. »Also, ich habe Tara angerufen und Arun. Später können wir die Jensens anrufen. Sollte ich noch jemandem Bescheid sagen?«
»Den Lindstroms?«
Sie betrachtet ihren Ring und blickt auch nicht auf, als sie fragt: »Glaubst du, ich sollte jetzt in Bhopal anrufen? «
Einen Moment lang glaube ich, etwas sei geplatzt. Ich muss mich verhört haben. »Bhopal?«
»Ich dachte, jetzt wo wir hier sind, sollte ich vielleicht –«
»Nein!«
»Aber Ann –«
» Nein! Warum denn, Ma? Nach all den Jahren? Du hast gesagt, du wolltest nie –«
»Das ist lange her.«
»Und deshalb ist es in Ordnung? Diese Frau –«
»Ist immerhin deine Großmutter, Ann.« Sie streichelt mir über den Kopf; ihre Stimme wird sanft. »Suj hätte sich gewünscht, dass ich es versuche, Liebling. Er hätte gewollt, dass du seine Mai kennenlernst.«
Mai. So hatte mein Vater seine Mutter genannt. Er war ihr großer Liebling, ihr glutäugiger Prinz, das unerwartete »Geschenk Gottes«. Strampelnd und schreiend
bahnte sich das kleine Wunder den Weg ins Leben, als seine Mutter ihren 40. Geburtstag schon eine Weile hinter sich hatte. Ihr ältester Sohn Satish war damals schon 17 und Girish, der jüngere, 14 Jahre alt. Papas Brüdern war das alles sehr peinlich, aber Dadi und Dadaji waren begeistert. Bei seiner Geburt verteilten sie in ganz Bhopal Süßigkeiten, 100 Kilo insgesamt. Papa erzählte mir einmal, es sei dadurch in der Stadt zu einer vorübergehenden Milchknappheit gekommen.
Dadi hatte Papa immer als etwas Besonderes gesehen. Er war schlau, frech und völlig verwöhnt, er bekam wirklich immer, was er wollte. Er spielte mit Streichhölzern, stürzte sich Treppen hinunter, zerstörte den Fernseher und setzte die Küche unter Wasser. Dadi hatte sein Bild immer auf dem Hausaltar stehen, zusammen mit den Götterbildern. Er war wie Krishna, er wurde angebetet. Die anderen machte das verrückt.
Er war gerade sieben Jahre alt und übte freihändig Fahrrad fahren, als Dadaji hinter der Theke seines Juweliergeschäfts zusammenbrach. Satish- Tau studierte damals in Oxford und kam zurück, um den Laden zu übernehmen. Der kluge, ehrgeizige Girish- Tau folgte ihm kurze Zeit später. Gemeinsam verwandelten sie den kleinen Juwelierladen in eine große Kette. Und zusammen mit ihren Frauen zogen sie ihren wilden kleinen Bruder groß.
»Das haben sie nicht so gut gemacht«, pflegte Papa zu witzeln. »Aber niemand hätte mich wirklich gut erziehen können.«
Als Papa 18 Jahre alt war, ging er von zu Hause fort.
Satish- Tau hatte ihn beim Abendessen gefragt, ob er in Bhopal Medizin oder Ingenieurwesen studieren wolle.
»Weder noch«, antwortete Papa. »Ich möchte in den USA studieren.«
»Das geht nicht«, sagte Girish- Tau . »Das können wir uns nicht leisten.«
Wütend erinnerte ihn Papa daran, dass seine Frau gerade erst ein Ferienhaus in Manali gekauft hatte. Girish- Tau wies ihn zurecht: Er solle den Älteren nicht widersprechen.
Papa wandte sich an Satish- Tau : »Ich nehme einen Kredit auf. Ihr müsst nur dafür bürgen.«
Satish-
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