Delhi Love Story
Tau rutschte auf seinem Stuhl hin und her, dann stocherte er zwischen den Zähnen nach Essensresten. »Vielleicht –«
Girish- Tau unterbrach ihn: »Hier geht es um viel Geld. Wir müssen den neuen Laden in Gwalior finanzieren. Wir sprechen nach deinen Abschlussprüfungen wieder darüber, Sujit.«
Sechs Monate nach dem Schulabschluss fuhren Girish- Tau und Neera-Tai für einen Monat nach Europa in den Urlaub. Papa traf sich mit dem Anwalt der Familie zu Tee und Samosas. Der Anwalt erklärte ihm, da es kein Testament gebe, sei Papa gänzlich von der Großzügigkeit seiner Brüder abhängig.
»Aber meine Mutter –«
»– hat die Besitzurkunden vor vielen, vielen Jahren unterschrieben.«
»Und das Geschäft?«
Der Anwalt seufzte, putzte seine Brillengläser und bot
Papa Ketchup für die Samosas an. Am nächsten Tag lieh Papa sich 100 Rupien vom Hausaltar seiner Mutter und setzte sich in einen Zug mit unbekanntem Ziel.
Papas Familie wusste nie so recht etwas mit der dünnen Frau anzufangen, die er eines Samstagnachmittags ohne Vorwarnung mit nach Bhopal brachte. Sie kam mit ihm ins Haus, setzte sich zu ihnen auf den Boden, breitete den Rock um ihre hübschen Knöchel herum aus und lächelte die versammelte Familie fröhlich an. Dadi beobachtete sie dabei, wie sie gesalzene Cashewnüsse knabberte, während Papa verkündete, sie seien verheiratet.
»Wir haben uns im Urlaub in Paris kennengelernt«, sagte Papa. »Natürlich haben wir geheiratet.«
Sie hatten sich nicht in Paris kennengelernt und sie hatten auch nicht geheiratet. Es war in Goa. Er erklärte ihr, er sei Architekt und habe große Ideen – was nicht stimmte, denn er war nur ein größenwahnsinniger College-Absolvent. Sie sagte, sie sei Modedesignerin – was auch nicht stimmte, denn sie war nur eine unmotivierte Praktikantin und trug das trägerlose Kleid ihrer Freundin. Sie tanzten den ganzen Abend, gingen die ganze Nacht am Strand spazieren, kehrten in Papas Hotelzimmer zurück und zeugten dort beinahe mich.
»Verheiratet? Was? Und die Zeremonie?« Neera-Tai konnte es kaum fassen.
»Du kannst unmöglich verheiratet sein, Sujit«, sagte Girish- Tau . Wo bitte hast du denn in Paris einen Hindu-Priester
gefunden? Oder habt ihr etwa standesamtlich geheiratet? Aber das geht nicht! Wegen der französischen Gesetze!«
»Ach, diesen Kram«, sagte Papa, »den überlassen wir gerne euch.«
»Mit verheiratet meinst du also –«
»Nur faktisch, nicht dem Namen nach.«
Alle holten so tief Luft, dass sich die Wohnzimmerwände förmlich nach innen bogen.
Satish- Tau starrte auf den Boden und verließ das Zimmer. Mamta-Tai flüchtete in die Küche.
»Wir können morgen zum Standesamt gehen, wenn ihr wollt«, schlug Papa vor.
»Aber morgen wollen wir doch nach Bodhgaya zu Buddhas Geburtsstätte«, erinnerte ihn Ma. »Das hast du mir versprochen.« Sie lud die anderen großzügig ein, mitzufahren. Papa meinte, es wäre ihnen wohl lieber, wenn erst die Hochzeit stattfände. Ma sagte, sie sei nicht sicher, ob genug Zeit für beides wäre. »Du weißt doch, ich muss am Montag zurück nach Kalkutta.«
»Was ist mit deinen Eltern?«, fragte Neera-Tai.
»Ach, die konnten nicht kommen. Sie verbringen den Sommer bei meinem Bruder in New Jersey.«
»Ja, aber ich meinte –«
Papa sagte: »Ich glaube, Neera-Bhabi wollte wissen, was dein Vater beruflich macht. Er ist Offizier bei der indischen Armee, Neera-Bhabi.«
Papa erzählte später, dass Neera-Tais Mund in diesem Moment zu einem großen »O« gefror. Die Tochter eines Offiziers! Ma hätte auch ganz unpassend auftreten können
und wäre dennoch in Neera-Tais großer, gieriger Umarmung verschwunden. Papa hatte Neera-Tai nie richtig gemocht.
»Ich habe echt den Hauptgewinn gezogen, oder, Neera-Bhabi? «, fragte er. »Ish, wie viel Mitgift wird mir dein Vater wohl geben, um dich loszuwerden?«
»All sein Geld und das der Nachbarn obendrauf«, versicherte Ma. Sie lächelte Neera-Tai an und erklärte: »Ich war kein einfaches Kind.«
Dadi stand auf. Mit steifen Schritten ging sie zu Ma hinüber, die glücklich auf dem Teppich saß und Erdnüsse knabberte. Dadi beugte sich über sie und nahm ihr Gesicht zwischen die knöchrigen Hände. »Du bist so hübsch«, sagte sie. »Ich wusste immer, dass Sujit eines Tages einer Hexe wie dir erliegen würde.« Dann zog sie die Hände zurück und gab meiner Mutter eine kräftige Ohrfeige.
Das war Mas letzter Besuch in Bhopal gewesen. Und auch der letzte Besuch meines
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