Delhi Love Story
Außer du zählst Äpfel, Käse und verbrannte Pizza mit.«
»Das sind meine Lieblingsgerichte«, grinst er. »Hast du heute Abend etwas vor?«
»Ich muss lernen«, stöhne ich. »Wir haben bald Prüfungen. Und du?«
»Ich fahre zurück ins Wohnheim und denke an dich.«
Gegen meinen Willen muss ich scharf einatmen. »Nein, ernsthaft«, sage ich.
Er lacht. »Vielleicht hänge ich ein bisschen mit den Jungs rum. Proben könnte nicht schaden.«
»Proben?«
» Macbeth, schon vergessen? Wir führen das nächsten Monat auf.«
»Klingt gut.«
»Nein, das hier war gut. Aber ich muss jetzt los.«
Das muss er wohl. Ich sehe zu, wie er die Maschine startet. Ich starre auf die Straße, auf seinen Schuh, auf den ausgefransten Jeanssaum darüber.
»Hey, Ani.«
Er lächelt hinter dem Visier. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Danke für den Milchshake.«
»Gern geschehen.« Seine Augen sind schwarze Seen in der Dunkelheit. Er nimmt meine Hand und hebt sie langsam hoch. Als er seine Lippen daraufpresst, zittere ich vor Glück.
Die Wohnungstür ist nur angelehnt, Lachen dringt bis in den Gang. Ich hatte vergessen, dass heute Samstag ist. Ma ist tatsächlich früher zu Hause, genau wie sie gesagt hatte.
»Da bist du ja, Ann«, sagt sie, als ich hereinkomme und die Schuhe ausziehe. »Wo warst du denn, mein Schatz? Ich wollte schon anrufen?«
»Ani!«, ruft Rupa vom Sofa. »Du siehst wundervoll aus! Und hier, im Feenkostüm! Wie süß!«
Ich folge ihrem Blick. Auf ihrem Schoß liegt ein Fotoalbum.
Ich erstarre auf der Türschwelle. Unser Leben liegt einfach offen vor ihr. Als wäre das nicht schlimm genug, kommt in diesem Moment niemand anders als unser Nachbar aus der Küche, lehnt sich besitzergreifend an unser Sofa und blickt Ma über die Schulter.
»Und das ist dein Bruder, Isha?«, fragt Rupa. »Ein attraktiver junger Mann!«
Ma prustet. »Du solltest ihn heute sehen!«
Hilflos sehe ich zu, wie Rupa immer weiterblättert und verstummt. »Oh, ist das Suj?«, fragt sie. »Ich habe ihn mir ganz anders vorgestellt.«
Wut flammt in mir auf. Seit wann darf Rupa Papa ›Suj‹ nennen und sich über sein Aussehen äußern? Ich widerstehe dem Drang, ihr das Album zu entreißen. Armer Papa. Mit seinen buschigen Augenbrauen und seinem wirren Haar sieht er ungekämmt und seltsam aus. Seine Jeans sind zu kurz, das Hemd zerknittert, der Blick zu intensiv. Ich verstehe nicht, wieso Ma das Album hervorgeholt hat, wieso sie diese ungehobelten Leute auf unserem Leben herumtrampeln lässt.
Rupa sieht mich an und lächelt mild. »Ani sieht aus wie er! Und diese Augenbrauen!«
»Unverkennbar«, sagt Ma.
»Ich hätte ihn gerne kennengelernt«, sagt JD ruhig.
Ich sehe ihn böse an. Seine Ernsthaftigkeit wirkt auf irritierende Weise gekünstelt. »Ach ja?«, frage ich. »Und warum?«
Er wirkt brüskiert. Sein Lächeln verschwindet, er blickt jetzt nicht mehr über Mas Schulter. »Entschuldigung«, sagt er, »wir wollten uns nicht aufdrängen.«
»Natürlich nicht. Red keinen Unsinn, Jades.«
Ma strahlt ihn tatsächlich an! Jades?
»Das macht so viel Spaß!«, freut sich Rupa. »Ich blättere so gern durch alte Familienalben. Du solltest mal vorbeikommen, Isha, ich zeige dir meine aus der Studentenzeit. Ich war eine ernsthafte Medizinstudentin. Zerschnittene Hände, dicke Brillengläser und so weiter.« Sie blickt auf ihre abgekauten Fingernägel, spielt mit dem Diamantring. »Ich brauche etwas zu trinken. Hast du noch Cola Light?«
»Hier«, sagt JD. »Für dich auch, Isha? Und du, Ani? Möchtest du etwas? Milch? Orangensaft?«
»Ani ist genau so colasüchtig wie ich«, sagt Ma. Ich spüre ihren Blick, ihr warmes, schiefes Lächeln. In ihrem Blick ist nur Zuneigung, nichts Außergewöhnliches, die Situation ist ihr nicht unangenehm. Wir haben uns unterhalten, ich habe ihr gesagt, dass ich mit JD kein Problem habe, und deshalb ist für sie alles klar. Und jetzt muss ich den Schein wahren, so schwer es mir auch fällt.
»Danke«, antworte ich JD mit Mühe, Ma zuliebe. »Jetzt gerade nicht.«
Ich gehe in mein Zimmer, schließe die Tür und werfe mich aufs Bett. Nichts und niemand wird diesen Tag ruinieren, nicht mal er, denke ich. Ich werde hier liegen, mich an jeden einzelnen Augenblick dieses Nachmittags erinnern – jeder ist so viel wert wie eine Million normaler Augenblicke –, und ich werde in den endlosen weichen Fluss aus all diesen Augenblicken eintauchen.
In den Erinnerungen an diesen Nachmittag könnte ich
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