Delhi Love Story
mehr denken konnte. In der kühlen Eingangshalle mache ich kurz halt, hole tief Luft und gehe dann mit klopfendem Herzen zum Café.
Ich sehe ihn genau in dem Augenblick, in dem er mich sieht. Er sitzt an einem kleinen Ecktisch. Er trägt ein blau kariertes Hemd mit hochgekrämpelten Ärmeln und eine verwaschene Jeans. Er sieht mir in die Augen: »Hallo, du treulose Tomate.«
Er schiebt mir einen Stuhl hin. Dabei berühren mich seine Finger einen Moment lang an der Hüfte. Es geschieht wie nebenbei, zugleich strahlt er völlige Autorität aus. In meinem Magen entsteht ein hohles Gefühl.
Beruhige dich , sage ich mir. Sieh ihm direkt in die Augen. Komm gleich auf den Punkt . »Wieso wolltest du mich treffen?«
»Ich dachte, du möchtest vielleicht einen Kaffee.«
»Ich trinke keinen Kaffee.«
»Aha«, grinst er, »wieso bist du dann hier?«
Ich schiebe meinen Stuhl zurück. Bevor ich aufstehen kann, lehnt er sich nach vorne und hält mich am Handgelenk fest.
»Entspann dich«, sagt er, »das war doch nur Spaß.«
Ich blicke auf seine Finger, die fest meinen Arm umfassen. Er lockert den Griff, lässt los. »Ich habe dich eingeladen, weil ich mich entschuldigen wollte«, sagt er mit plötzlich veränderter Stimme. »Persönlich.«
Anscheinend sieht man mir meine Überraschung an. Er lächelt nicht mehr.
»Weißt du, damals in der Cafeteria habe ich mir einen Spaß mit dir gemacht. Du warst so nervös und peinlich berührt. Ich war ekelhaft zu dir, stimmt’s?«
»Also –«
»Ich war erstaunt, dass du mir nicht den Tee ins Gesicht geschüttet hast. Aber du warst so süß und deine Ohren wurden immer röter …«
»Tut mir leid, aber ich bin nicht daran gewöhnt, dass –«
»Jungs mit dir flirten? Das kann nicht dein Ernst sein. Jedenfalls wollte ich mich nur entschuldigen und dich als Wiedergutmachung auf einen Kaffee einladen. Aber du magst ja keinen Kaffee. Und ich habe gesagt, was ich sagen wollte –«
»Ich mag Erdbeer-Milchshakes«, höre ich mich zu meinem Erschrecken sagen.
Sein Lächeln nimmt mir den Atem.
Ich sehe ihm zu, wie er zum Tresen geht und unsere Getränke bestellt. Die Mädchen am Nebentisch starren ihn an. Sie drehen sich zu mir um; in ihren Blicken lese ich Erstaunen und Neid. Er ist mit ihr hier , scheinen sie zu denken.
Ich verstehe sie. Ich kann es selbst kaum glauben.
Wir unterhalten uns eine Ewigkeit lang. Diesmal ist es ein echtes Gespräch, diesmal erzählt er mir – als wären wir gute Freunde, als wolle er mich wirklich kennenlernen – alles über die Uni, seine Freunde, sein aktuelles Theaterstück, seine erstes Stück, seine bisher beste Produktion. Er beschreibt sein Zimmer im Wohnheim, das er das »Grüne Zimmer« nennt; erzählt von dem furchtbaren Mensaessen, an dem er erstaunlicherweise immer noch nicht gestorben ist. Lächelnd berichtet er von Dehradun, der alten Stadt am Fuße des Himalayas, in der er aufgewachsen ist, von seinen Eltern, die dort immer noch in einem riesigen Haus (mit sieben Schlafzimmern!) leben, und von seinem Hund Hamlet.
»Hamlet?«, frage ich verzückt.
»Er ist schwul«, sagt er grinsend, »und er hasst meinen Vater.«
Wir gehen, er nimmt meine Hand. »Erzähl mir von dir«, sagt er.
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Dann sag mir erst mal, woher du deinen Akzent hast.«
»Ich dachte, den hört man mittlerweile nicht mehr.«
»Doch, zum Glück schon.«
»Zum Glück?«
»Er ist ziemlich sexy.«
Als er mich zu Hause absetzt, ist es nach sieben Uhr. Die Sonne ist hinter den hohen, gläsernen Gebäuden bereits nicht mehr zu sehen. Stoßstange an Stoßstange schieben sich die Autos vorwärts. Eine aggressive Stimmung liegt in der staubigen Luft. All das bemerke ich kaum. Ich sitze hinter ihm auf dem Motorrad und halte mich an seinen Schultern fest. Sie fühlen sich kühl und fest an. Ich widerstehe der Versuchung, meine Hand flach gegen seinen Körper zu drücken. Er ist so echt, so nah, es ist unglaublich.
Viel zu schnell biegen wir in die Seitenstraße ein und fahren an den Flammenbäumen vorbei zum Tor von Roshini. Enttäuscht steige ich vom Motorrad. Ich will nicht, dass die Fahrt vorbei ist. Am liebsten würde ich wieder aufsteigen. Als er den Helm abnimmt, würde ich ihm am liebsten mit den Händen durch die Haare fahren. Er blickt zu dem großen Ziegelgebäude hinüber. »Hier wohnst du also?«, fragt er. »Hübsch. Schöner als das Wohnheim jedenfalls. Wird man hier auch bekocht?«
»Nicht bei uns zu Hause.
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