Delhi Love Story
nimmt einen Schluck. »Sollen wir gehen, Ladies?«
Ma nickt und nimmt ihre Handtasche. »Gute Nacht, Liebling«, ruft sie mir zu.
»Tschüss, Ma.«
»Ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch.«
Auf die leeren Worte folgt ein leerer, halbherziger Wangenkuss. 23 Minuten, rechne ich aus. Das macht 4,6 Minuten tägliche Zeit mit Ma in dieser Woche.
Ich rufe Kunal an.
Dreiunddreißig
Am Montag, dem Tag vor Diwali , sitze ich auf der Terrasse und sehe zu, wie in Roshini nach und nach die Lichter montiert werden. Die Hausverwaltung hat Profis engagiert, die überall Lampen und bunte Lichterketten anbringen. Lampen und Lämpchen hängen von Dächern, winden sich um Balkons und Bäume.
Morgen ist schon Diwali . Alle um mich herum bereiten sich darauf vor, putzen, streichen, dekorieren und freuen sich darauf, ein neues Jahr voller »Frieden und Wohlstand« zu begrüßen. Plötzlich lächeln alle, winken einander zu, obwohl sie sich die restlichen 363 Tage des Jahres nach Kräften ignorieren. 48 Stunden lang werden sie so tun, als würde von nun an alles besser.
Es schmerzt. Diwali kommt immer so unvermittelt, man kann sich gar nicht darauf vorbereiten.
Ma fiel es immer als Erster ein. Am Vorabend, beim Essen oder sogar mitten in der Nacht. Dann rief sie »Oh Gott, Diwali !«, holte die Weihnachtsbeleuchtung aus dem Keller, stellte sich noch im Schlafanzug auf die Leiter und dekorierte das Haus. Mit dunklen Ringen unter den Augen schickte sie mich zur Schule und holte mich ein paar
Stunden später, in einen hastig gewickelten Sari gehüllt, wieder ab, nicht ohne dem Lehrer die Ausnahmesituation zu erklären. Auf der Rückbank des Autos stapelten sich bunt eingepackte Geschenke. Ich durfte vorne sitzen, und wir verbrachten den Rest des Tages mit Besuchen bei Leuten, die wir kaum kannten, verteilten Süßigkeiten und Umarmungen und tranken sehr viel fürchterlichen Tee.
Abends zündeten wir ungefähr eine Million Kerzen an. Sie dufteten festlich nach Vanille, Pinien, Mango, Jasmin, Pfirsich, Grünem Tee, Lavendel und Minze. Wir gingen in den Garten und ließen ein paar Feuerwerkskörper steigen, die noch von der Feier zum 4. Juli übrig geblieben waren. Dann schoben wir die Pizza in den Ofen – die wie üblich verbrannte. Das war alles nicht sehr traditionell, aber es war doch jedes Jahr ein besonderer Tag.
»Happy Chhoti Diwali , Ani.« 15
Ich drehe mich um. JD kommt durch die offene Terrassentür. Er trägt Schlappen und hat eine Zeitung unter dem Arm. Na toll, denke ich. Genau der hat mir noch gefehlt.
»Ma und Rani sind einkaufen gegangen«, sage ich und hoffe, dass er wieder geht.
Tut er aber nicht. Er setzt sich zu mir, legt die Füße auf den Tisch und sieht den Dekorationsarbeiten zu. »Bestimmt bist du aufgeregt, Ani. Das ist dein erstes Diwali -Fest hier.« Er lehnt sich zurück, verschränkt die
Arme hinter dem Kopf. »Nachdem mein Vater gestorben war, zog meine Mutter mit meinen Schwestern und mir alle zwei Jahre um. Ich war zehn Jahre alt. Wir kamen bei verschiedenen Verwandten unter. Sie waren freundlich, aber Diwali bei anderen zu feiern, war einfach nicht dasselbe.«
Ich stehe auf, sammle meine Bücher ein. Und warum erzählt er mir das?
»Du hast Glück, Isha zu haben. Sie ist so eine starke, unabhängige Frau.«
Ich sehe ihn an. Da sitzt er im Korbstuhl und urteilt über mein Leben, meine Mutter und mein angebliches »Glück«.
»Und wie gut sie die Sache mit den Bajajs geregelt hat!«
Ich bin irritiert. Er weiß davon?
»Dass Rajiv Bajaj so etwas tut …« Er bricht ab, schüttelt sorgenvoll den Kopf. »Gut, dass er nicht mehr lange in Roshini leben wird.«
»Wird er nicht?«
»Anscheinend wird er von seiner Firma versetzt. Ende des Monats ziehen sie um. Hat dir Isha nichts davon erzählt?«
»Doch«, lüge ich.
»Ich bin froh, dass sie nach Manila gehen. Je weiter weg, umso besser, findest du nicht auch?«
Manila? Ob Rani das weiß … Rani! Was passiert mit ihr? Nehmen sie sie mit? Sicher nehmen sie sie mit … »Wir werden Rani natürlich vermissen«, sage ich so beiläufig wie möglich.
»Ach, geht sie mit? Ich dachte, Isha hätte ihr angeboten, dass sie hierbleiben kann, bis sie mit der Schule fertig ist.«
»Ich glaube nicht, dass Tante Rupa damit einverstanden wäre.«
»Nicht? Aber sie weiß doch, wie glücklich Rani bei dir und Isha ist.«
»Ja, aber sie ist doch ihre Familie.«
»Manchmal können Freunde auch Teil der Familie werden.«
Ich stehe auf. Das wirst du nicht
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