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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Carol ganz gezielt, ob ich ihr Handy leihen darf. Dann simse ich Hana: Heute mit A bei Dir übernachten? Das ist in letzter Zeit unser Geheimcode geworden, wenn sie mich decken soll. Wir haben Carol erzählt, wir würden viel Zeit mit Allison Doveney verbringen, die mit uns ihren Abschluss gemacht hat. Die Doveneys sind sogar noch reicher als Hanas Familie und Allison ist eine arrogante Schlampe. Hana war ursprünglich dagegen, sie als die geheimnisvolle »A« zu benutzen, mit dem Argument, dass sie noch nicht mal so tun wolle, als unternähme sie was mit ihr, aber schließlich konnte ich sie überzeugen. Carol würde niemals bei den Doveneys anrufen, um nach mir zu fragen. Es wäre ihr zu unangenehm und wahrscheinlich peinlich – meine Familie ist unrein, verdorben, weil Marcias Mann übergelaufen ist, und natürlich wegen meiner Mutter, und Mr Doveney ist der Vorsitzende und Gründer des Ortsverbands Portland der VDFA , der Vereinigung für ein Deliria-freies Amerika. Allison Doveney konnte es in der Schule kaum ertragen, mich auch nur anzusehen, und ganz früher in der Grundschule, kurz nachdem meine Mutter gestorben war, fragte sie die Lehrerin, ob sie sich von mir wegsetzen könne, weil ich nach Verwesung riechen würde.
    Hanas Antwort kommt beinahe sofort. Ja, super. Bis heute Abend.
    Ich frage mich, was Allison denken würde, wenn sie wüsste, dass ich sie als Alibi für meinen Freund benutze. Sie würde sicher ausrasten und beim Gedanken daran muss ich lächeln.
    Kurz vor acht komme ich die Treppe herunter, meinen Übernachtungsrucksack deutlich sichtbar über der Schulter. Sogar ein Stück von meinem Schlafanzug ragt absichtlich daraus hervor. Ich habe den Rucksack genau so gepackt, wie ich es getan hätte, wenn ich wirklich zu Hana gehen würde. Als Carol mir ein flüchtiges Lächeln zuwirft und mir viel Spaß wünscht, bekomme ich kurz Schuldgefühle. Ich lüge jetzt so oft und leichthin.
    Aber das hält mich nicht auf. Ich gehe in Richtung West End los, nur für den Fall, dass Jenny oder Carol mir aus dem Fenster nachsehen. Erst als ich die Spring Street erreiche, biege ich zurück zur Deering Avenue ab und laufe weiter in Richtung Brooks Street 37. Der Weg ist weit und ich komme, gerade als das letzte Licht vom Himmel schwindet, nach Deering Highlands. Die Straßen sind wie immer verwaist. Ich stoße das verrostete Metalltor vor dem Haus auf, schiebe die losen Bretter an den Erdgeschossfenstern zur Seite und klettere ins Haus.
    Die Dunkelheit überrascht mich und einen Augenblick stehe ich einfach blinzelnd da, bis meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt haben. Die Luft ist stickig und abgestanden und es riecht modrig. Dann kann ich langsam verschiedene Umrisse ausmachen und ich gehe ins Wohnzimmer und zu dem stockfleckigen Sofa. Die Sprungfedern sind kaputt und die Hälfte der Polsterung ist rausgerissen, wahrscheinlich von Mäusen, aber man kann sich vorstellen, dass es früher mal hübsch gewesen sein muss – sogar elegant.
    Ich angele meine Uhr aus der Tasche und stelle den Wecker auf halb zwölf. Es wird eine lange Nacht. Dann strecke ich mich auf dem unebenen Sofa aus und schiebe mir den Rucksack unter den Kopf. Er ist nicht das bequemste Kissen der Welt, aber es wird schon gehen.
    Ich schließe die Augen und lasse mich vom Geräusch der trippelnden Mäuse und vom leisen Ächzen und geheimnisvollen Ticken der Wände in den Schlaf lullen.
    Von einem Albtraum über meine Mutter schrecke ich hoch. Ich setze mich im Dunkeln auf und einen panischen Moment lang weiß ich nicht, wo ich bin. Die kaputten Sprungfedern quietschen unter mir und dann fällt es mir ein: Brooks Street 37. Ich taste nach meinem Wecker: bereits zwanzig nach elf. Eigentlich sollte ich aufstehen, aber ich bin immer noch geschafft von der Hitze und dem Traum und sitze eine Weile einfach da, atme tief durch. Ich schwitze; meine Haare kleben in meinem Nacken.
    Mein Traum war fast der übliche, nur diesmal andersrum: Ich selbst trieb im Meer und trat Wasser, während meine Mutter auf einem zerbröselnden Felsvorsprung hundert Meter über mir kauerte – so weit entfernt, dass ich ihre Züge nicht erkennen konnte, nur ihren verschwommenen Umriss, der sich vor der Sonne abzeichnete. Ich versuchte ihr eine Warnung zuzurufen, versuchte meine Arme zu heben und ihr zu verstehen zu geben, sie solle

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