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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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brennt erbarmungslos und die Leute strömen in die Parks und an die Strände, verzweifelt auf der Suche nach Schatten oder einer Brise. Es wird schwieriger, Alex zu treffen. Jetzt ist sogar der East End Beach meistens brechend voll, auch abends nach der Arbeit. Zweimal gehe ich hin, um Alex zu sehen, doch es ist zu gefährlich, miteinander zu reden oder sich ein Zeichen zu geben, abgesehen vom kurzen Nicken, das auch zwei entfernte Bekannte austauschen könnten. Stattdessen breiten wir fünf Meter voneinander entfernt unsere Strandtücher auf dem Sand aus. Er setzt seine Kopfhörer auf, ich tue so, als würde ich lesen. Immer wenn unsere Blicke sich begegnen, leuchtet es in meinem Körper auf, als läge Alex direkt neben mir und striche mit der Hand über meinen Rücken, und obwohl sein Gesicht unbewegt ist, kann ich das Lächeln in seinen Augen erkennen. Nichts war je so schmerzhaft und köstlich, wie ihm so nah zu sein und doch nichts damit anzufangen: wie wenn man an einem heißen Tag ein Eis so schnell isst, dass man rasende Kopfschmerzen davon bekommt. Ich beginne zu verstehen, was Alex von seiner »Tante« und seinem »Onkel« erzählt hat – dass sie nach ihrem Eingriff sogar den Schmerz vermissten. Irgendwie macht der Schmerz es noch besser, noch intensiver, noch wertvoller.
    Da die Strände nicht in Frage kommen, halten wir uns an das Haus in der Brooks Street 37. Der Garten leidet unter der Hitze. Es hat lange nicht geregnet und das Sonnenlicht, das durch die Bäume dringt – und das im Juli sanft hereinfiel –, schneidet jetzt wie ein Schwert durch das Blätterdach und färbt das Gras braun. Sogar die Bienen wirken wie betrunken in der Hitze, kreisen langsam, stoßen zusammen, prallen gegen die vertrocknenden Blumen, bevor sie auf dem Boden aufschlagen und dann benommen wieder in die Luft steigen.
    Eines Nachmittags liegen Alex und ich auf der Decke. Ich liege auf dem Rücken; der Himmel über mir scheint in sich verändernde Muster aus Blau, Grün und Weiß zu zerfallen. Alex liegt auf dem Bauch und irgendetwas macht ihn offenbar nervös. Er zündet ständig Streichhölzer an, sieht zu, wie sie aufflackern, und bläst sie erst aus, wenn die Flamme beinahe seine Fingerspitzen erreicht. Ich muss daran denken, was er mir neulich im Schuppen erzählt hat: dass er in seiner Anfangszeit in Portland immer so wütend war, dass er damals dauernd Sachen angezündet hat.
    Es gibt so viel, was ich nicht von ihm weiß – so viel Vergangenheit und Geschichte, die irgendwo in seinem Innern begraben liegen. Er musste lernen, es zu verbergen, noch mehr als die meisten von uns. Aber irgendwo tief in ihm, glaube ich, glüht das alles wie ein Stück Kohle, das langsam zu einem Diamanten gepresst wird, von vielen äußeren Schichten niedergedrückt.
    Da ist so viel, was ich ihn nicht gefragt habe, und so viel, worüber wir nie reden. Auf andere Art habe ich jedoch das Gefühl, dass ich ihn sehr gut kenne und ihn immer gekannt habe, ohne dass er mir irgendetwas erzählen musste.
    Â»Jetzt muss es schön sein in der Wildnis«, platze ich heraus, nur um etwas zu sagen. Alex dreht sich um und sieht mich an und ich stottere schnell: »Ich meine … es muss dort kühler sein. Wegen der ganzen Bäume ist es bestimmt schön schattig.«
    Â»Das stimmt.« Er stützt sich auf einen Ellbogen. Ich schließe die Augen und hinter meinen Lidern tanzen Flecken aus Farbe und Licht. Einen Moment sagt Alex nichts, aber ich spüre, dass er mich beobachtet. »Wir könnten hingehen«, sagt er schließlich.
    Das kann nur ein Witz sein, deshalb fange ich an zu lachen. Er bleibt jedoch ruhig und als ich die Augen öffne, ist seine Miene vollkommen gefasst.
    Â»Nicht dein Ernst«, sage ich, aber in mir hat sich bereits ein tiefer Schacht aus Angst aufgetan und ich weiß, dass es ihm sehr wohl ernst ist. Irgendwie weiß ich auch, dass er sich deshalb den ganzen Tag über so komisch benommen hat: Er vermisst die Wildnis.
    Â»Wir könnten hingehen, wenn du willst.« Er sieht mich noch einen Herzschlag länger an, dann dreht er sich auf den Rücken. »Morgen vielleicht. Nach deiner Schicht.«
    Â»Aber wie …«, hebe ich an. Er unterbricht mich.
    Â»Ãœberlass das mir.« Einen Moment sehen seine Augen tiefer und dunkler aus als je zuvor, wie zwei Tunnel. »Willst du?«
    Es

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