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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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zweiten Eingriff haben sie sie nicht mehr betäubt – sie glaubten, die Narkose beeinträchtige die Wirkung des Heilmittels. Sie haben ihr ins Gehirn geschnitten, Alex, und sie war bei Bewusstsein .«
    Ich spüre, wie seine Hand sich vorübergehend verkrampft, und weiß, dass er genauso wütend ist wie ich. Dann fängt das Kreisen wieder an.
    Â»Aber ich weiß, dass das nicht der eigentliche Grund war.« Ich schüttele den Kopf. »Meine Mutter war tapfer. Sie hatte keine Angst vor Schmerzen. Das war ja gerade das Problem. Sie hatte keine Angst. Sie wollte nicht geheilt werden; sie wollte nicht aufhören, meinen Vater zu lieben. Ich weiß noch, dass sie mir das einmal gesagt hat, kurz bevor sie starb. ›Sie versuchen ihn mir wegzunehmen‹, hat sie gesagt und ganz traurig gelächelt dabei. ›Sie versuchen ihn mir wegzunehmen, aber das können sie nicht.‹ Sie trug immer einen seiner Anstecker an einer Kette um den Hals. Meistens verbarg sie ihn, aber an diesem Abend hatte sie ihn hervorgeholt und sah ihn an. Es war so ein seltsames langes Ding, wie ein silberner Dolch, mit zwei hellen Rubinen am Heft wie Augen. Mein Vater hatte ihn immer am Ärmel getragen. Nachdem er starb, hatte sie ihn jeden Tag um und legte ihn noch nicht mal zum Baden ab …«
    Plötzlich merke ich, dass Alex’ Hand verschwunden und Alex zwei Schritte zurückgetreten ist. Ich drehe mich um und er sieht mich mit weißem Gesicht erschrocken an, als wäre er gerade einem Gespenst begegnet.
    Â»Was ist?« Ich frage mich, ob ich ihn möglicherweise irgendwie beleidigt habe. Irgendetwas an der Art, wie er mich anstarrt, lässt Angst in meiner Brust aufsteigen, ein hektisches Flattern. »Habe ich was Falsches gesagt?«
    Er schüttelt den Kopf, eine kaum wahrnehmbare Bewegung. Der Rest seines Körpers bleibt so starr und angespannt wie ein Drahtseil zwischen zwei Pfosten. »Wie groß war er? Der Anstecker, meine ich.« Seine Stimme klingt eigenartig hoch.
    Â»Es geht nicht um den Anstecker, Alex, es geht darum …«
    Â»Wie groß war er?« Lauter jetzt und kräftig.
    Â»Ich weiß nicht. Etwa daumengroß vielleicht.« Alex’ Verhalten verwirrt mich total. Er hat einen extrem gequälten Gesichtsausdruck, als versuchte er gerade ein ganzes Stachelschwein zu verschlucken. »Er gehörte ursprünglich meinem Großvater – wurde speziell für ihn angefertigt als Belohnung für besondere Dienste für die Regierung. Ein Einzelstück. Das hat mir meine Mutter erzählt.«
    Alex sagt eine Weile gar nichts. Er wendet sich ab und im Mondschein könnte er auch aus Stein sein, mit seinem harten und ernsten Profil. Ich bin allerdings froh, dass er mich nicht mehr anstarrt. Er fing an mich nervös zu machen.
    Schließlich fragt er: »Was machst du morgen?« Langsam, als sei jedes Wort eine Qual.
    Die Frage kommt mir inmitten eines Gesprächs, in dem es um etwas völlig anderes ging, ziemlich seltsam vor, und ich werde langsam ärgerlich. »Hast du mir überhaupt zugehört?«
    Â»Lena, bitte.« Da ist er wieder, dieser erstickte, gequälte Tonfall. »Antworte mir einfach. Musst du arbeiten?«
    Â»Erst wieder am Samstag.« Ich reibe mir die Arme. Der Wind, der hereinweht, ist kühl, ich bekomme Gänsehaut. Es wird langsam Herbst. »Warum?«
    Â»Wir müssen uns treffen. Ich muss … ich muss dir was zeigen.« Alex dreht sich wieder zu mir um und er wirkt aufgewühlt, seine Augen sind so schwarz, sein Gesicht sieht so fremd aus, dass ich einen Schritt zurücktrete.
    Â»Du musst dir schon was Besseres einfallen lassen.« Ich versuche zu lachen, aber heraus kommt nur ein leiser gurgelnder Laut. Ich habe Angst , will ich sagen. Du machst mir Angst. »Kannst du mir nicht wenigstens einen Tipp geben?«
    Alex holt tief Luft und einen Moment denke ich, er wird mir gar nicht antworten.
    Aber das tut er.
    Â»Lena«, sagt er schließlich. »Ich glaube, deine Mutter lebt.«

einundzwanzig
    Freiheit durch Unterordnung;
    Frieden durch Umzäunung;
    Glück durchVerzicht
    Inschrift über dem Tor zu den Grüften
    I n der vierten Klasse haben wir einmal einen Schulausflug zu den Grüften gemacht. Jedes Kind in der Grundschule muss sie im Rahmen des staatlichen Unterrichts zur Verbrechens- und Widerstandsbekämpfung mindestens einmal besichtigen. Ich habe von diesem Besuch

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