Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
fehlende Decke. Er muss das morsche Holz zum Dach durchbrochen haben und jetzt wölbt sich auch hier ein riesiges Stück Himmel über uns. In Portland kann man weniger Sterne sehen als jenseits der Grenze, aber es ist trotzdem schön. Noch besser: Die Fledermäuse sind weg. Weit über uns sehe ich mehrere dunkle Umrisse, die vor dem Mond hin und her sausen, aber solange sie draußen bleiben, stören sie mich nicht.
    Plötzlich geht es mir auf: Das hat er für mich gemacht. Selbst nach dem, was heute passiert ist, ist er hergekommen und hat das für mich gemacht. Dankbarkeit durchströmt mich und noch ein anderes Gefühl, ein schmerzender Stich. Ich habe es nicht verdient. Ich habe ihn nicht verdient. Ich drehe mich zu ihm um und kann noch nicht mal sprechen; sein Gesicht leuchtet und er scheint zu glühen und sich in Feuer zu verwandeln. Er ist das Schönste, was ich je gesehen habe.
    Â»Alex …«, hebe ich an, aber ich kann den Satz nicht beenden. Plötzlich habe ich beinahe Angst vor ihm, fürchte mich, weil er so absolut und vollkommen perfekt ist.
    Er beugt sich vor und küsst mich. Und als er sich so nah an mich drückt, sein weiches T-Shirt über mein Gesicht streicht und der Geruch nach Sonnencreme und Gras von seiner Haut aufsteigt, fühlt er sich schon weniger furchterregend an.
    Â»Es ist zu gefährlich, wieder in die Wildnis zu gehen.« Seine Stimme ist heiser, als hätte er lange geschrien, und an seiner Wange zuckt ein Muskel heftig. »Also habe ich die Wildnis hergebracht. Ich dachte, es würde dir gefallen.«
    Â»Das tut es. Ich … ich liebe es.« Ich presse die Hände an meine Brust und wünschte, ich könnte ihm irgendwie noch näherkommen. Ich hasse Haut; ich hasse Knochen und Körper. Ich möchte mich in ihm zusammenrollen und für immer dort bleiben.
    Â»Lena.« Auf seinem Gesicht tauchen so schnell hintereinander verschiedene Ausdrücke auf, dass ich sie kaum alle wahrnehmen kann, und an seiner Wange zuckt es weiter.
    Â»Ich weiß, wir haben nicht viel Zeit, das hast du ja gesagt. Wir haben fast gar keine Zeit mehr …«
    Â»Nein.« Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, schlinge die Arme um ihn und drücke ihn fest. Unvorstellbar, unverständlich: ein Leben ohne ihn. Der Gedanke zerbricht mich. Dass er beinahe weint, zerbricht mich. Dass er das hier für mich gemacht hat – dass er findet, dass ich es wert bin –, bringt mich um. Er ist meine Welt und meine Welt ist er und ohne ihn gibt es keine Welt. »Ich werde es nicht tun. Ich werde es nicht durchziehen. Ich kann nicht. Ich will mit dir zusammen sein. Ich muss mit dir zusammen sein.«
    Alex nimmt mein Gesicht in die Hände und beugt sich vor, um mir in die Augen zu sehen. Sein Gesicht strahlt jetzt, voller Hoffnung.
    Â»Du musst das nicht durchziehen«, sagt er. Seine Wörter sprudeln hervor. Er hat offenbar schon lange darüber nachgedacht und es nur nicht ausgesprochen. »Lena, du musst gar nichts tun. Wir könnten zusammen abhauen. In die Wildnis. Einfach abhauen und nie wiederkommen. Allerdings … Lena, wir könnten wirklich nie zurückkommen. Das weißt du, oder? Sie würden uns beide umbringen oder für immer einsperren … Aber, Lena, es wäre möglich.«
    Uns beide umbringen. Er hat natürlich Recht. Ein Leben lang auf der Flucht: Das habe ich mir gerade gewünscht. Ich trete schnell einen Schritt zurück, mir ist plötzlich schwindelig. »Moment«, sage ich. »Warte einen Augenblick.«
    Er lässt mich los. Die Hoffnung in seinem Gesicht verschwindet auf einmal und eine Weile stehen wir einfach nur da und sehen uns an. »Es war nicht dein Ernst«, sagt er schließlich. »Du hast es gar nicht so gemeint.«
    Â»Doch, ich hab es so gemeint, aber ich …«
    Â»Aber du hast einfach Angst«, sagt er. Er geht zum Fenster und starrt hinaus in die Nacht, sieht mich nicht an. Sein Rücken ist wieder furchterregend, so fest und undurchdringlich, eine Mauer.
    Â»Ich habe keine Angst. Ich bin nur …« Ich kämpfe gegen ein düsteres Gefühl an. Ich weiß nicht, was ich bin. Ich will Alex und ich will mein altes Leben und ich will Frieden und Glück und ich weiß, dass ich ohne ihn nicht leben kann, alles gleichzeitig.
    Â»Schon okay.« Seine Stimme klingt matt. »Du musst mir nichts erklären.«
    Â»Meine Mutter«, platze

Weitere Kostenlose Bücher