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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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nicht viel im Gedächtnis behalten abgesehen von einem Gefühl absoluten Schreckens, erinnere mich undeutlich an Kälte, geschwärzte Betonflure, glitschig von Schimmel und Feuchtigkeit, und schwere, elektronisch gesteuerte Türen. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass ich die meisten Erinnerungen daran erfolgreich verdrängt habe. Das einzige Ziel des Ausflugs war, uns so zu traumatisieren, dass wir auf dem rechten Weg bleiben würden, und das mit dem Traumatisieren ist ihnen wahrhaftig gelungen.
    Woran ich mich jedoch erinnere, ist, dass ich unendlich erleichtert war, als ich anschließend ins helle Licht eines wunderschönen Frühlingstags hinaustrat – und verwirrt feststellte, dass wir, um die Grüfte zu verlassen, mehrere Treppen zum Erdgeschoss hinabsteigen mussten. Die ganze Zeit da drin, selbst, als wir hinaufgestiegen waren, hatte ich das Gefühl gehabt, unter der Erde begraben zu sein. So dunkel war es, so eng und es stank, als wäre man mit verwesenden Leichen in einem Sarg eingesperrt. Ich weiß auch noch, dass Liz Billmun anfing zu weinen, sobald wir draußen waren, sie schluchzte einfach los, während ein Schmetterling um ihre Schulter herumflatterte, und wir waren alle ganz erschrocken, weil Liz Billmun eigentlich unerschütterlich war, eine, die andere immer schikanierte und nicht mal geweint hatte, als sie sich im Sportunterricht den Knöchel brach.
    An jenem Tag habe ich mir geschworen, dass ich nie im Leben und unter gar keinen Umständen in die Grüfte zurückkehren würde. Aber am Morgen nach meinem Gespräch mit Alex stehe ich vor dem Tor und trete von einem Fuß auf den anderen, einen Arm vor den Bauch gepresst. Ich habe heute Morgen nichts runtergebracht abgesehen von dem dicken schwarzen Schlamm, den mein Onkel Kaffee nennt, eine Entscheidung, die mir jetzt leidtut. Ich habe das Gefühl, mein Inneres würde von Säure zerfressen.
    Alex kommt zu spät.
    Der Himmel über mir ist voll von riesigen schwarzen Gewitterwolken. Später soll es regnen, was mir passend erscheint. Jenseits des Tores, am Ende einer kurzen gepflasterten Zufahrt, erheben sich die Grüfte schwarz und stattlich. Wie sie sich vor dem schwarzen Himmel abzeichnen, sehen sie aus wie aus einem Albtraum. Etwa ein Dutzend winziger Fenster – wie der Augenkranz einer Spinne – sind über die Fassade aus Stein verteilt. Ein schmaler Grünstreifen umgibt das Gebäude. Ich habe ihn aus meiner Kindheit als Wiese in Erinnerung, aber in Wirklichkeit ist es nur ein kurz geschorener, stellenweise kahler Rasen. Das lebhafte Grün des Grases – dort, wo es ihm gelingt, sich zwischen der Erde hervorzuzwängen – scheint irgendwie fehl am Platz. Dies wirkt wie ein Ort, an dem nichts blühen oder wachsen sollte, wo die Sonne nie scheinen sollte; ein Ort am Rand, ein Ort, der vollkommen aus der Zeit, dem Glück und dem Leben herausfällt.
    Streng genommen liegt er auch am Rand – die Grüfte befinden sich direkt an der Ostgrenze. Auf der Rückseite fließt der Presumpscot River, hinter dem die Wildnis beginnt. Der elektrisch geladene (oder auch nicht so geladene) Zaun schließt auf beiden Seiten mit dem Gelände der Grüfte ab, das Gebäude selbst dient als nahtloses Verbindungsstück.
    Â»Hallo.«
    Alex kommt den Bürgersteig entlang, seine Haare wippen um seinen Kopf. Der Wind heute ist richtig kalt. Ich hätte mir ein dickeres Sweatshirt anziehen sollen. Alex sieht auch aus, als fröre er. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt. Natürlich trägt er nur ein dünnes Leinenhemd, seine offizielle Kleidung als Wachmann in den Labors. Auch seinen Dienstausweis hat er um den Hals hängen. Seit wir uns zum ersten Mal unterhalten haben, habe ich ihn nicht mehr damit gesehen. Er trägt sogar eine ordentliche Jeans, dunkel und makellos, deren Aufschläge nicht total ausgefranst sind. Das ist alles Teil des Plans: Um uns beide da reinzubringen, muss er die Gefängnisverwaltung davon überzeugen, dass wir in offizieller Mission hier sind. Ich tröste mich allerdings damit, dass er immer noch seine ausgelatschten Turnschuhe mit den tintengefärbten Schnürsenkeln trägt. Irgendwie macht es mir dieses vertraute Detail leichter, mit ihm hier zu sein und das durchzuziehen. Darauf kann ich mich konzentrieren, daran kann ich mich festhalten, ein winziges Aufblitzen von Normalität in einer Welt, die

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