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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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und Jenny am Rand des Platzes und unterhält sich mit Mrs Springer, meiner Geschichtslehrerin. Ich falle in Rachels Rhythmus ein. Sie ist nur ein paar Zentimeter größer als ich und wir gehen im Gleichschritt, aber etwa einen Meter voneinander entfernt. Sie schweigt. Mir ist bewusst, dass sie bereits darüber nachdenkt, wann sie wieder nach Hause und in ihr Leben zurückkehren kann.
    Ich muss noch einen Blick zurückwerfen. Ich kann nicht anders. Ich sehe die Mädchen in ihren flammend orangefarbenen Roben umhergehen. Alles scheint weggezoomt zu werden und sich plötzlich von mir zurückzuziehen. Die Stimmen vermischen sich und lassen sich nicht mehr voneinander unterscheiden – wie das gleichmäßige Rauschen des Meeres, das den Rhythmus von Portland untermalt, so gleichmäßig, dass man es kaum bemerkt. Alles sieht schlicht und klar aus und reglos, als wäre es genau skizziert und dann mit Tinte nachgezeichnet worden – das starre Lächeln der Eltern, die blendenden Blitzlichter der Kameras, offene Münder und leuchtend weiße Zähne, dunkles glänzendes Haar, tiefblauer Himmel und unerbittliches Licht, alle ertrinken in Licht. Alles ist so deutlich zu sehen und so perfekt, dass ich mir sicher bin, es ist bereits eine Erinnerung oder ein Traum.

a cht
    H steht für Wasserstoff, mit Ordnungszahl eins,
    Bei Fusion eine Wonne, wird heiß wie die Sonne,
    Auch heller strahlt keins.
    He steht für Helium, mit Ordnungszahl zwei,
    Das edle Gas hebt die Welt wie Atlas,
    Schwebt geisterhaft vorbei.
    Li steht für Lithium, mit Ordnungszahl drei,
    Brennt als Haufen aus Scheiten, die Toten zu begleiten –
    Und bringt mir tödlichen Schlaf herbei.
    Be steht für Beryllium, mit Ordnungszahl vier …
    Aus den Gebeten der Elemente
(»Gebet und Studium«, Das Buch Psst )
    I n den Sommerferien muss ich meinem Onkel montags, mittwochs und samstags im Stop-N-Save helfen, meistens beim Regaleauffüllen und hinter der Aufschnitt-Theke, gelegentlich auch bei der Buchführung in dem kleinen Büro hinter dem Gang mit den Frühstücksflocken und Kurzwaren. Glücklicherweise wird Andrew Marcus Ende Juni geheilt und bekommt eine feste Stelle in einem anderen Lebensmittelgeschäft zugewiesen.
    Am vierten Juli mache ich mich morgens auf den Weg zu Hanas Haus. Wir gehen jedes Jahr zum Feuerwerk im Eastern Promenade Park. Da spielt immer eine Band und Straßenverkäufer bauen ihre Buden auf, an denen sie gebratene Fleischspieße, Maiskolben und Apfelstrudel mit einer Lache Vanilleeis in kleinen Papierschiffchen verkaufen. Der vierte Juli – der Tag unserer Unabhängigkeit, der Tag, an dem wir die endgültige Schließung der Grenzen begehen – ist einer meiner Lieblingsfeiertage. Ich mag die Musik, die in den Straßen ertönt, mag es, wie dicker Rauch von den Grills aufsteigt und die Menschen schattenhaft und verschwommen wirken lässt. Vor allem mag ich die vorübergehende Verkürzung der Ausgangssperre: Alle Ungeheilten dürfen bis elf draußen bleiben. In den letzten Jahren haben Hana und ich eine Art Spiel daraus gemacht, die Zeit bis zur letzten Sekunde auszunutzen, und jedes Jahr waren wir knapper dran. Vergangenes Jahr betrat ich das Haus um genau 22:58 Uhr, mit hämmerndem Herzen und vor Erschöpfung zitternd – ich hatte rennen müssen. Aber als ich im Bett lag, konnte ich mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich hatte das Gefühl, gerade noch mal davongekommen zu sein.
    Ich tippe den vierstelligen Code an Hanas Haustür ein – sie hat ihn mir in der achten Klasse verraten und gesagt, es sei ein »Vertrauensbeweis«, aber auch, dass sie mich »von Kopf bis Fuß aufschlitzen« würde, wenn ich ihn an irgendjemanden weitergäbe – und betrete das Haus. Ich mache mir nicht die Mühe zu klopfen. Ihre Eltern sind fast nie zu Hause und Hana geht nicht an die Tür. Ich bin so ziemlich die Einzige, die sie besucht. Es ist komisch. Hana war immer beliebt in der Schule – die anderen sahen zu ihr auf und wollten sein wie sie –, aber obwohl sie total nett zu allen war, hat sie außer mir keine richtige Freundin.
    Manchmal frage ich mich, ob sie sich wünscht, ihr wäre in der zweiten Klasse bei Mrs Jablonski eine andere Tischnachbarin zugeteilt worden, denn so haben wir uns kennengelernt. Hana heißt mit Nachnamen Tate und wir wurden in alphabetischer Reihenfolge gesetzt (damals

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