Delirium
Namen.
AnschlieÃend stellen wir uns auf, um jeweils mit unserer Urkunde fotografiert zu werden. Ein offizieller Fotograf ist extra dafür engagiert worden und mitten auf dem FuÃballfeld wurde ein dunkelblauer Hintergrund aufgestellt, vor dem wir alle posieren. Wir sind allerdings zu aufgeregt, um das mit den Bildern ernst zu nehmen. Dauernd beugt sich jemand lachend vor, so dass man auf den Fotos nichts weiter sieht als den Scheitel.
Bei mir springt im letzten Moment Hana dazu und legt mir einen Arm um die Schultern, und der Fotograf ist so überrascht, dass er trotzdem abdrückt. Klick! Und so sehen wir aus: Ich wende mich mit offenem Mund gerade Hana zu, kurz davor, in Gelächter auszubrechen. Sie ist einen ganzen Kopf gröÃer als ich, hat die Augen geschlossen und den Mund auf. Ich glaube wirklich, dass dieser Tag etwas Besonderes an sich hatte, vielleicht sogar Magisches, denn obwohl mein Gesicht ganz rot ist und die Haare auf meiner Stirn verschwitzt aussehen, ist es, als hätte Hana ein bisschen auf mich abgefärbt â trotz allem und nur auf diesem einen Foto bin ich hübsch. Mehr als hübsch. Sogar schön.
Die Schulband spielt die ganze Zeit, meistens richtig, und die Musik strömt über den Platz. Die Vögel, die durch die Luft kreisen, antworten darauf. Es ist, als würde etwas von uns genommen, ein riesiger Druck, und bevor ich noch weiÃ, wie mir geschieht, drängen sich alle meine Mitschülerinnen zu einer riesigen Umarmung zusammen. Wir springen auf und ab und kreischen: »Geschafft! Geschafft! Geschafft!« Und weder Eltern noch Lehrer versuchen uns zu trennen. Als wir uns voneinander lösen, sehe ich, wie sie im Kreis um uns herumstehen und uns mit geduldigen Mienen und gefalteten Händen beobachten. Ich fange den Blick meiner Tante auf und mein Magen verknotet sich. Ich weiÃ, dass sie uns wie alle anderen diesen Moment schenkt â unseren letzten gemeinsamen Moment, bevor sich die Dinge für immer verändern.
Und die Dinge werden sich verändern â sie tun es jetzt schon, in diesem Augenblick. Als sich die Traube in kleinere Grüppchen trennt und sich aus diesen dann einzelne Personen lösen, sehe ich, wie Theresa Katz und Morgan Dell bereits über den Rasen in Richtung StraÃe gehen. Sie gehen beide mit ihren Familien weg, den Kopf gesenkt, ohne auch nur einmal zurückzublicken. Mir fällt auf, dass sie nicht mit uns gefeiert haben, und ebenso, dass ich Eleanor Rana, Annie Hahn und die anderen Geheilten auch nicht gesehen habe. Sie müssen schon nach Hause gegangen sein. Ein eigenartiger Schmerz kriecht in meine Kehle, obwohl die Dinge eben so sind: Alles ist irgendwann zu Ende, die Leute machen weiter, blicken nicht zurück. So soll es ja sein.
Ich erblicke Rachel in der Menge und laufe zu ihr, plötzlich will ich unbedingt in ihrer Nähe sein. Ich wünschte, sie würde die Hand ausstrecken und mir durchs Haar wuscheln, wie früher, als ich noch ganz klein war, und sagen: »Gut gemacht, kleiner Spinner«, ihr alter Spitzname für mich.
»Rachel!« Völlig ohne Grund bin ich auÃer Atem und es fällt mir schwer, die Worte hervorzubringen. Ich freue mich so, sie zu sehen, dass ich in Tränen ausbrechen könnte. Was ich natürlich nicht tue. »Du bist gekommen.«
»Natürlich bin ich gekommen.« Sie lächelt mich an. »Du bist meine einzige Schwester, schon vergessen?« Sie reicht mir einen Strauà Blumen, den sie mitgebracht hat, locker in braunes Papier eingeschlagen. »Herzlichen Glückwunsch, Lena.«
Ich berge mein Gesicht in den Blumen und atme ihren Duft ein, um den Drang zu unterdrücken, Rachel zu umarmen. Einen Augenblick stehen wir einfach da und blinzeln uns an, dann streckt sie den Arm nach mir aus. Ich bin sicher, sie wird den alten Zeiten zuliebe den Arm um mich legen oder mich wenigstens kurz drücken.
Stattdessen streicht sie mir nur eine Haarsträhne aus der Stirn. »Iih«, sagt sie, immer noch lächelnd. »Du bist ganz verschwitzt.«
Es ist dumm und unreif, enttäuscht zu sein, aber trotzdem bin ich es. »Das liegt an der Robe«, sage ich und da wird mir klar, dass das in der Tat das Problem sein muss: Es ist die Robe, die mich würgt, mich erstickt, mir das Atmen schwer macht.
»Los, komm«, sagt sie. »Tante Carol will dir sicher auch gratulieren.«
Tante Carol steht zusammen mit meinem Onkel, Grace
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