Delirium
die Regierung macht â lädt mich zu einem »zwanglosen Abschieds-Ding« ein. Ich wusste noch nicht mal, dass sie meinen Namen kennt â immer wenn sie mit Hana geredet hat, ist ihr Blick über mich hinweggestrichen, als wäre ich mehr nicht wert. Ich gehe trotzdem hin. Ich war schon immer neugierig auf ihr Haus und es entpuppt sich als genauso spektakulär, wie ich es mir vorgestellt habe. Ihre Familie hat auch ein Auto und überall Elektrogeräte, die ganz offensichtlich täglich benutzt werden, Waschmaschinen und Trockner und riesige Kronleuchter mit Dutzenden und Aberdutzenden von Glühbirnen. Harlowe hat fast die ganze Abschlussklasse eingeladen â wir sind insgesamt siebenundsechzig und auf der Party sind so um die fünfzig â, weshalb ich mich gleich weniger bevorzugt fühle, aber es macht trotzdem SpaÃ. Wir sitzen im Garten, während die Haushälterin mit immer mehr Platten voll Essen rein- und rausläuft â Krautsalat und Kartoffelsalat und andere Beilagen â, und ihr Vater wendet Spareribs und Hamburger auf dem riesigen rauchenden Grill. Ich esse, bis ich das Gefühl habe, gleich zu platzen, und muss mich auf die Decke zurücksinken lassen, auf der ich mit Hana sitze. Wir bleiben fast bis zur Ausgangssperre dort, als die Sterne durch einen dunkelblauen Vorhang linsen, die Mücken alle auf einmal auffliegen und wir kreischend und lachend nach ihnen schlagen und zurück ins Haus rennen. Nachher denke ich, dass dies einer der schönsten Tage seit langem war.
Sogar Mädchen, die ich gar nicht besonders leiden kann â wie Shelly Pierson, die mich seit der sechsten Klasse hasst, weil ich beim Wissenschaftswettbewerb gewonnen habe und sie nur Zweite geworden ist â, werden plötzlich nett. Wahrscheinlich liegt es daran, dass wir alle wissen, das Ende rückt näher. Die meisten von uns werden sich nach dem Schulabschluss nicht wiedersehen, und selbst wenn, wird es anders sein. Wir werden anders sein. Wir werden erwachsen sein, geheilt, markiert, etikettiert, identifiziert, mit einem Partner versehen und ordentlich auf unseren Lebensweg gesetzt, perfekte runde Murmeln, die in gleichmäÃigen, gespurten Bahnen rollen.
Theresa Katz wird schon vor dem Ende der Schulzeit achtzehn und wird geheilt; Morgan Dell auch. Sie fehlen ein paar Tage und kommen kurz vor dem Schulabschluss wieder. Die Veränderung ist unglaublich. Sie wirken jetzt friedlich, reif und irgendwie weit weg, als wären sie von einer dünnen Eisschicht umgeben. Noch vor zwei Wochen war Theresas Spitzname Theresa Kotz und alle haben sich über sie lustig gemacht, weil sie immer so gebeugt ging und an ihren Haarspitzen kaute und generell ziemlich unordentlich war, aber jetzt geht sie aufrecht, die Augen geradeaus gerichtet, die Lippen zu einem kaum wahrnehmbaren Lächeln verzogen, und alle treten auf dem Gang ein Stück zur Seite, wenn sie vorbeikommt. Das Gleiche gilt für Morgan. Es ist, als wären ihre ganze Unsicherheit und Befangenheit zusammen mit der Krankheit verschwunden. Nicht mal Morgans Beine zittern mehr. Immer wenn sie im Unterricht etwas sagen musste, wurde das Zittern so schlimm, dass ihr Tisch wackelte. Aber nach dem Eingriff â zack! â ist es einfach so weg. Natürlich sind sie nicht die ersten geheilten Mädchen in unserer Klasse â Eleanor Rana und Annie Hahn wurden beide bereits im Herbst geheilt und ein halbes Dutzend anderer Mädchen hatte den Eingriff in diesem Halbjahr â, aber bei diesen beiden ist der Unterschied irgendwie augenfälliger.
Mein Countdown läuft weiter. Einundachtzig Tage, dann achtzig, dann neunundsiebzig.
Willow Marks kehrt nicht mehr in die Schule zurück. Gerüchte dringen bis zu uns durch â dass sie ihren Eingriff hatte und er gut verlaufen ist; dass sie ihren Eingriff hatte, ihr Gehirn verrücktspielt und sie vielleicht in die Grüfte eingewiesen wird, eine Kombination aus Gefängnis und psychiatrischer Anstalt; dass sie in die Wildnis geflohen ist. Nur eins ist sicher: Die gesamte Familie Marks steht jetzt unter ständiger Ãberwachung. Die Aufseher machen Mr und Mrs Marks â und die gesamte Verwandtschaft â dafür verantwortlich, ihre Tochter nicht anständig erzogen zu haben, und nur wenige Tage nachdem Willow angeblich im Deering Oaks Park aufgegriffen wurde, höre ich mit, wie meine Tante und mein Onkel sich flüsternd darüber
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