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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Rädern könnte auffallen. Ich darf nicht darüber nachdenken, was ich hier eigentlich tue, darf nicht an die Konsequenzen denken. Ich weiß nicht, woher ich überhaupt diese Entschlossenheit habe. Nie hätte ich geglaubt, dass ich den Mut haben würde, das Haus in einer Razzianacht zu verlassen.
    Offenbar hat Hana sich in mir geirrt. Offenbar habe ich nicht immer Angst.
    Ich gehe gerade an einer schwarzen Mülltüte auf dem Bürgersteig vorbei, als ein leises Wimmern mich innehalten lässt. Ich drehe mich um, mein ganzer Körper augenblicklich höchst wachsam. Nichts. Das Geräusch wiederholt sich, unheimlich, wimmernd. Mir stehen die Haare auf den Armen zu Berge. Dann schüttelt sich die Mülltüte neben meinen Füßen.
    Nein. Keine Mülltüte. Es ist Riley, Richardsons schwarzer Mischlingshund.
    Ich mache ein paar schwankende Schritte auf ihn zu. Mit einem Blick erkenne ich, dass er im Sterben liegt. Er ist über und über mit einer klebrigen, glänzend schwarzen Substanz bedeckt – Blut, wird mir klar, als ich näher komme. Deshalb habe ich sein Fell im Dunkeln mit der glatten Oberfläche einer Plastiktüte verwechselt. Eins seiner Augen ist an den Asphalt gepresst; das andere ist offen. Sein Kopf ist eingeschlagen. Blut strömt ungehindert aus seiner Nase, schwarz und zähflüssig.
    Mir fällt die Stimme ein, die ich gehört habe – Ist wahrscheinlich eh voller Flöhe, hat der Aufseher gesagt –, und das schnelle dumpfe Geräusch kurz zuvor.
    Riley starrt mich mit einem so traurigen und anklagenden Blick an, dass es einen Moment wirklich so ist, als wäre er ein Mensch und versuchte mir etwas zu sagen – als versuchte er zu sagen: Du hast mir das angetan. Eine Welle der Übelkeit überkommt mich und ich möchte mich hinknien und ihn in die Arme nehmen oder meine Kleider ausziehen und ihm das Blut abwischen. Aber gleichzeitig bin ich völlig gelähmt. Ich kann mich nicht rühren.
    Während ich erstarrt dastehe, zuckt und bebt er lange von der Schwanzspitze bis zur Schnauze. Dann bleibt er ruhig liegen.
    Augenblicklich löst sich die Starre in meinen Armen und Beinen. Ich stolpere rückwärts, Galle steigt mir in den Mund. Ich renne einmal im Kreis und fühle mich wie an dem Tag, als ich mich mit Hana betrunken habe, völlig ohne Kontrolle über meinen Körper. Wut und Abscheu zerhacken mein Innerstes, am liebsten würde ich schreien.
    Hinter einem Müllcontainer finde ich einen zusammengefalteten Pappkarton, zerre ihn zu Rileys Leiche und bedecke ihn vollständig damit. Ich versuche nicht an die Insekten zu denken, die sich bis zum Morgen über ihn hermachen werden. Überrascht spüre ich Tränen in meinen Augen brennen. Ich wische sie mit der Rückseite meines Arms weg. Aber als ich mich Richtung Deering aufmache, kann ich nichts weiter denken als: Es tut mir leid, es tut mir leid, es tut mir leid , wie ein Mantra oder ein Gebet.
    Das Gute an Razzien: Sie sind laut. Ich muss nichts weiter tun, als im Schatten anzuhalten und auf die Schritte, das Rauschen, die Megafon-Stimmen zu hören. Ich wechsele die Richtung und nehme die Nebenstraßen, die, die ausgelassen wurden oder in denen die Razzia bereits stattgefunden hat. Anzeichen für die Razzien gibt es überall: umgekippte Mülltonnen und Container, Abfall, der auf der Straße verteilt wurde, bergeweise alte Quittungen, geschredderte Briefe, verdorbenes Gemüse und faulig riechende Schmiere, von der ich gar nicht wissen möchte, was es ist, und an den schlimmsten Stellen muss ich die Arme ausstrecken wie eine Seiltänzerin, um das Gleichgewicht zu halten. Ich komme an ein paar Häusern vorbei, die mit einem großen X gekennzeichnet sind, mit schwarzer Farbe auf die Wände und Fenster geklatscht wie ein schwarzer Schnitt. Die Menschen, die hier wohnen, sind als Unruhestifter oder Widerständler identifiziert worden. Der heiße Wind, der durch die Straßen pfeift, trägt Geräusche herbei, Rufen, Weinen, Hundebellen. Ich gebe mir Mühe, nicht an Riley zu denken.
    Ich bleibe immer im Schatten, gleite in und aus Gassen und hetze von einem Container zum nächsten. Schweiß sammelt sich in meinem Nacken und unter meinen Armen und das liegt nicht nur an der Hitze. Alles sieht fremd, grotesk und verzerrt aus, auf einigen Straßen glitzern Glassplitter von zerbrochenen Fenstern, in der Luft hängt

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