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Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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nur für sie, sondern für uns alle: So bahnt sich die Krankheit einen Weg.
    Aber der tief in mir liegende Teil, der sture Teil, der bei meiner ersten Evaluierung Grau gesagt hat, drängt weiter und nagt an mir. Na und?, sagt er. Sie wollten also ein bisschen Musik hören. Richtige Musik – nicht die schnuckeligen kleinen Lieder, die bei der Konzertreihe Portland getutet werden, mit langweiligen Rhythmen und fröhlichen, munteren Klängen. So schlimm ist das, was sie da machen, ja nun auch nicht.
    Dann fällt mir ein, was Alex noch gesagt hat: Niemand tut jemandem was.
    Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, dass Hana heute Abend nicht spät dran war und dort draußen ist, ahnungslos, während die Razzia immer näher kommt. Um diesen Gedanken und den an Dutzende glänzende Klingen, die sich auf Hana senken, zu vertreiben, muss ich die Augen zusammenkneifen. Wenn sie nicht ins Gefängnis kommt, wird sie direkt zu den Labors geschafft – sie wird noch vor dem Morgengrauen geheilt, ungeachtet aller Gefahren oder Risiken.
    Irgendwie ist es mir trotz allem, was mir im Kopf herumrast, und der Tatsache, dass sich das Zimmer weiterhin wie verrückt um mich dreht, gelungen, das ganze Geschirr zu spülen. Außerdem habe ich eine Entscheidung getroffen.
    Ich muss da hin. Ich muss sie warnen.
    Ich muss sie alle warnen.
    Als Rachel und David gegangen sind und der Rest im Bett liegt, ist es Mitternacht. Jede Sekunde, die verstreicht, bereitet mir Todesqualen. Ich kann nur hoffen, dass die Razzia auf der Halbinsel mehr Zeit in Anspruch nimmt als üblich und es eine Weile dauert, bis die Aufseher es bis nach Deering Highlands schaffen. Vielleicht lassen sie die Highlands ja auch ganz aus. Nachdem die Mehrheit der Häuser dort leer steht, könnte das durchaus möglich sein. Aber da Deering Highlands früher die Brutstätte des Widerstands in Portland war, ist es doch wieder unwahrscheinlich.
    Ich steige vorsichtig aus dem Bett, ohne mir die Mühe zu machen, meine Schlafanzughose und mein T-Shirt auszuziehen, die beide schwarz sind. Dann ziehe ich schwarze flache Schuhe an, und obwohl es ungefähr tausend Grad warm ist, hole ich eine schwarze Skimütze aus dem Schrank. Heute Nacht kann ich nicht vorsichtig genug sein.
    Gerade als ich die Schlafzimmertür aufziehen will, höre ich ein leises Geräusch hinter mir, wie das Miauen einer Katze. Ich fahre herum. Grace sitzt aufrecht im Bett und beobachtet mich.
    Einen Moment starren wir uns nur an. Wenn Grace ein Geräusch macht, aus dem Bett steigt oder sonst irgendwas tut, wacht bestimmt Jenny auf und dann bin ich dran, erledigt, geliefert. Ich muss mir etwas einfallen lassen, womit ich sie beruhigen kann, versuche eine Lüge zusammenzuzimmern, aber dann, Wunder über Wunder, legt sie sich einfach wieder hin und schließt die Augen. Und obwohl es sehr dunkel ist, könnte ich schwören, dass sie ein winziges Lächeln im Gesicht hat.
    Eine heftige Welle der Erleichterung erfüllt mich. Das Gute daran, dass Gracie sich weigert zu sprechen? Ich weiß, sie wird mich nicht verraten.
    Ohne weitere Zwischenfälle schleiche ich hinaus auf die Straße, denke sogar daran, die drittletzte Treppenstufe auszulassen, die letztes Mal so laut gequietscht hat.
    Nach dem Lärm und dem Aufruhr der Razzia ist die Straße jetzt eigenartig still und ruhig. Jedes einzelne Fenster ist dunkel, alle Rollos sind runtergelassen, als wollten die Häuser sich von der Straße abschirmen oder ihre Schultern zur Abwehr neugieriger Blicke hochziehen. Ein Stück rotes Papier streicht an mir vorbei, dreht sich im Wind wie die Steppenläufer in alten Cowboyfilmen. Ich erkenne darin die Ankündigung der Razzia, eine Erklärung voller unaussprechlicher Wörter, die die Aufhebung aller Bürgerrechte an diesem Abend für legal erklärt. Abgesehen davon könnte es eine Nacht wie jede andere sein – irgendeine ruhige, ausgestorbene, gewöhnliche Nacht.
    Außer dass man im Wind noch ganz weit entfernt Getrappel von Schritten hören kann und ein hohes Gejammer, als würde jemand weinen. Die Geräusche sind so leise, dass man sie beinahe mit den Geräuschen des Meeres und des Windes verwechseln könnte. Beinahe.
    Die Aufseher sind weitergezogen.
    Schnell mache ich mich in Richtung Deering Highlands auf. Ich habe zu große Angst, mein Rad zu nehmen, fürchte, der kleine Reflektor an den

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