Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delirium

Delirium

Titel: Delirium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
Vom Netzwerk:
der Geruch nach Feuer.
    Als ich gerade auf die Forest Avenue einbiege, betritt im selben Moment eine Gruppe Aufseher am anderen Ende die Straße. Ich husche zurück um die Ecke, presse mich flach an die Wand eines Haushaltswarenladens und gehe langsam in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Die Wahrscheinlichkeit, dass mich einer der Aufseher gesehen hat, ist gering – ich war einen Häuserblock entfernt und es ist stockdunkel –, aber trotzdem kehrt mein Herz nicht zu seinem normalen Rhythmus zurück. Es ist, als müsste ich eine ausgesprochen schwierige Matheaufgabe lösen. Ein Mädchen versucht vierzig Razziagruppen aus jeweils fünfzehn bis zwanzig Personen aus dem Weg zu gehen, die in einem Umkreis von gut zehn Kilometern verteilt sind. Angenommen, sie muss 4,3Kilometer durchs Zentrum zurücklegen, wie hoch ist dann die Wahrscheinlichkeit, dass sie morgen früh in einer Gefängniszelle aufwacht? Pi kann auf 3,14 gerundet werden.
    Vor der Fahndungsaktion gehörte Deering Highlands zu den netteren Gegenden Portlands. Die Häuser waren groß und neu – zumindest für Maine, was bedeutet, dass sie in den letzten hundert Jahren gebaut wurden – und standen hinter Zäunen und Hecken, in Straßen mit Namen wie Lilac Way und Timber Road. Es gibt noch ein paar Familien in einigen Häusern, sehr arme, die es sich nicht leisten können, woanders hinzuziehen, oder keine neue Bleibe genehmigt bekommen haben. Aber zum Großteil steht das Viertel leer. Niemand wollte hierbleiben; niemand wollte mit dem Widerstand in Verbindung gebracht werden.
    Das Eigenartigste an Deering Highlands ist, dass man sieht, wie überstürzt es verlassen wurde. Im Gras liegt immer noch rostiges Spielzeug herum und in einigen Auffahrten parken Autos, obwohl die meisten auseinandergenommen wurden, ihrer Metall- und Plastikinnereien beraubt wie Leichen, die von riesigen Geiern zerpflückt wurden. Die ganze Gegend macht den trostlosen Eindruck eines ausgesetzten Tieres: Die Häuser zerfallen langsam im hoch wuchernden Gras.
    Normalerweise werde ich schon unruhig, wenn ich nur in die Nähe von Deering Highlands komme. Viele Leute sagen, dort herumzulaufen bringe Unglück, wie wenn man an einem Friedhof vorbeigeht, ohne den Atem anzuhalten. Aber heute Nacht habe ich das Gefühl, ich könnte ein Tänzchen auf dem Bürgersteig hinlegen. Alles ist dunkel, still und unberührt, keine Spur einer Razzia zu sehen, kein geflüstertes Gespräch oder auch nur das Klacken eines Absatzes auf dem Bürgersteig. Die Aufseher waren noch nicht hier. Vielleicht kommen sie gar nicht.
    Ich renne schnell durch die Straßen, lege an Geschwindigkeit zu, jetzt, wo ich nicht mehr so darauf achten muss, im Schatten zu bleiben und mich lautlos zu bewegen. Deering Highlands ist ziemlich groß, ein Labyrinth aus gewundenen Straßen, die sich alle seltsam ähnlich sehen, mit Häusern, die aus der Dunkelheit aufragen wie gestrandete Schiffe. Die Rasenflächen sind über die Jahre alle verwildert, Bäume recken ihre knorrigen Äste in den Himmel und werfen merkwürdig gezackte Schatten auf den mondbeschienenen Asphalt. In der Nähe des Lilac Way verlaufe ich mich – irgendwie schaffe ich es, einmal im Kreis zu gehen und schließlich zweimal an dieselbe Abzweigung zu kommen –, aber als ich in die Tanglewild Lane einbiege, sehe ich in der Ferne ein trübes Licht durch eine verschlungene Wand aus Bäumen leuchten, und ich weiß, dass ich den Ort gefunden habe.
    Neben der Auffahrt steckt ein alter Briefkasten schief in der Erde. Auf einer Seite ist immer noch schwach ein schwarzes X zu erkennen. Tanglewild Lane 42.
    Ich kann verstehen, warum sie sich dieses Haus für die Party ausgesucht haben. Es steht ein ganzes Stück zurückgesetzt von der Straße. Die Bäume, die es umgeben, stehen so dicht, dass ich unweigerlich an den dunklen, flüsternden Wald jenseits der Grenze denken muss. Die Auffahrt entlangzugehen ist unheimlich. Ich halte den Blick auf den verschwommenen blassen Lichtschein im Haus gerichtet, der sich langsam ausdehnt und heller wird und, als ich näher komme, schließlich zu zwei beleuchteten Fenstern wird. Sie sind mit irgendeinem Stoff verhängt, vielleicht damit man nicht sieht, dass Leute im Haus sind. Es funktioniert nicht. Ich kann erkennen, wie sich Schattenmenschen im Haus hin und her bewegen. Die Musik ist ganz leise. Erst

Weitere Kostenlose Bücher