Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
einem der Ersteren, welcher mit uns eintrat. Wir setzten uns, aber eine Pfeife erhielt ich nicht.
»Das ist der Mann!« meinte der Mutesselim, indem er auf den Beamten zeigte.
»Was für ein Mann?«
»Der Dich gesehen hat.«
»Wo?«
»Auf der Gasse, welche zum Gefängnisse führt. Ibrahim, erzähle es!«
Der Beamte sah, daß ich mich auf freiem Fuße befand; er warf einen unsichern Blick auf mich und berichtete:
»Ich kam vom Palaste, Herr. Es war sehr spät, als ich meine Thüre öffnete. Eben wollte ich sie wieder schließen, da hörte ich Schritte, die sehr eilig herbeikamen. Es waren zwei Männer, die sehr schnell gingen; der Eine zog den Andern mit sich fort, und dieser Andere hatte keinen Athem. An der Ecke verschwanden sie und gleich darauf hörte ich einen Raben schreien.«
»Hast Du die beiden Männer erkannt?«
»Nur diesen Effendi. Es war zwar finster, aber ich erkannte ihn an seiner Gestalt.«
»Wie war die Gestalt des Andern?«
»Kleiner.«
»Haben sie Dich gesehen?«
»Nein, denn ich stand hinter der Thüre.«
»Du kannst gehen!«
Der Mann trat ab.
»Nun, Emir, was sagst Du?«
»Ich war den ganzen Abend bei Dir!«
»Aber einige Minuten bist Du fort gewesen, nämlich als Du die Lampe holtest. Da hast Du den Gefangenen fortgeschafft, wie ich vermuthe, und dabei solche Eile gehabt, weil wir auf Dich warteten.«
Ich lachte.
»O, Mutesselim, wann endlich wirst Du einmal ein guter Diplomat werden! Ich sehe, daß Dein System wirklich einer Stärkung bedarf. Erlaube mir einige Fragen.«
»Rede.«
»Wer hatte den Schlüssel zur Außenthüre des Gefängnisses?«
»Ich.«
»Konnte ich also hinaus, selbst wenn ich gewollt hätte?«
»Nein,« antwortete er zögernd.
»Mit wem bin ich nach Hause gegangen?«
»Mit Selim Agha.«
»Ist dieser Agha der Arnauten länger oder kürzer als ich ?«
»Kürzer.«
»Und nun, Agha, frage ich Dich: Sind wir langsam gegangen wie die Schnecken oder mit schnellen Schritten?«
»Schnell,« antwortete der Gefragte.
»Haben wir uns geführt oder nicht?«
»Wir führten uns.«
»Mutesselim, kann ein Rabe, der im Traume ein wenig krächzt oder ruft, in Beziehung zu dem Entflohenen stehen?«
»Emir, das trifft ja wunderbar!« antwortete er.
»Nein, das trifft nicht wunderbar, sondern das ist so einfach und natürlich, daß ich über die Kleinheit Deiner Gedanken erschrecke! Ich werde ganz besorgt um Dich! Du hattest den Schlüssel, und Niemand konnte heraus; das mußtest Du wissen. Ich bin mit dem Agha nach Hause gegangen, und zwar durch die Gasse, in welcher jener Mann wohnt; das wußtest Du auch. Und auf eine Erzählung hin, die nur geeignet wäre, mich zu rechtfertigen, willst Du mich verurtheilen? Ich war Dein Freund. Ich gab Dir Geschenke; ich führte den Makredsch, dessen Festnehmung Dir Ehre und Beförderung in Aussicht stellt, in Deine Hände; ich gab Dir Arzenei, um Deine Seele zu erfreuen, und das Alles dankst Du dadurch, daß Du mich in das Gefängniß stecken willst. Geh! Ich werde irre an Dir! Und was ebenso schlimm ist: Du wirfst Dein Mißtrauen sogar auf den Agha der Arnauten, dessen Treue Du kennst, und der für Dich kämpfen würde, selbst wenn er dabei das Leben verlieren müßte!«
Da richtete sich Selim Agha um einige Zoll höher auf.
»Ja, das ist wahr!« betheuerte er, indem er an seinen Säbel schlug und die Augen rollen ließ. »Mein Leben gehört Dir, Herr. Ich gebe es für Dich hin!«
Das war zu viel der Beweise. Der Commandant reichte mir die Hand und bat:
»Verzeihe, Emir! Du bist gerechtfertigt, und ich werde in Deiner Wohnung nicht nachsuchen lassen!«
»Du wirst suchen lassen. Ich verlange es nun selbst!«
»Es ist ja unnöthig geworden!«
»Ich bestehe aber auf meinem Verlangen.«
Der Mutesselim erhob sich und ging hinaus.
»Effendi, ich danke Dir, daß Du mich von seinem Verdachte gereinigt hast!« sagte nun der Agha.
»Du wirst gleich hören, daß ich noch mehr für Dich thue.«
Als der Commandant wieder eintrat, machte er ein sehr verdrießliches Gesicht und begann:
»Draußen steht jetzt der Basch Tschausch, der nach Mossul gehen soll – – –«
»Der meinen Baschi-Bozuk holte,« unterbrach ich ihn, »damit Du ihn über mich verhören konntest! Hast Du wohl ein Wort von ihm erfahren, das mich verdächtigt?«
»Nein, er war Deines Lobes voll. Aber sage mir, was ich dem Anatoli Kasi Askeri über den entsprungenen Gefangenen schreiben soll!«
»Schreibe die Wahrheit!«
»Das wird mir großen Schaden
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