Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
mir wird er nicht zornig werden.«
»Weißt Du das gewiß?«
»Ganz gewiß.«
»So laß uns gehen, sobald Madana zurückgekehrt ist.«
»Haben wir ein Licht?«
Sie zeigte mir schweigend einige kurze Binsenflechten, welche mit Hammeltalg getränkt waren. Auch Feuerzeug hatte sie bei sich. Dann frug sie:
»Herr, ich habe eine Bitte.«
»Sprich!«
»Wirst Du meinem Vater verzeihen?«
»Ja; um Deinetwillen.«
»Aber der Melek wird ihm zürnen!«
»Ich werde ihn besänftigen.«
»Ich danke Dir!«
»Hast Du nicht erfahren, wer meine Waffen erhalten hat und die anderen Sachen, welche man mir abgenommen hat?«
»Nein. Der Vater wird sie wohl haben.«
»Wo pflegt er solche Dinge aufzubewahren?«
»Nach Hause hat er nichts gebracht; ich hätte es bemerkt.«
Jetzt kam Madana wieder.
»Herr,« sagte sie mit stolzer Miene, »Dein Diener ist ein sehr verständiger und höflicher Mann.«
»Woraus schließest Du dies?«
»Er hat mir Etwas gegeben, was ich seit langer Zeit nicht mehr erhalten habe: – einen Öpüsch, einen großen Öpüsch.«
Ich glaube, ich habe bei diesem naiv-stolzen Bekenntnisse ein sehr verdutztes Gesicht gemacht. Halef einen Kuß? Dieser alten, guten, duftigen ›Petersilie‹? Einen Kuß auf die ›Reisetasche‹, in deren Öffnung die Schnecken mit Knoblauch verschwunden waren? Das war mir schier unglaublich. Daher frug ich:
»Einen Öpüsch? Wohin?«
Sie spreizte mir die braunglasirten, dürren Finger der Rechten entgegen.
»Hierher, auf diese Hand. Es war ein Elöpüsch, wie man ihn nur einem vornehmen, jungen Mädchen gibt. Dein Diener ist ein Mann, dessen Höflichkeit man rühmen muß.«
Also ein Handkuß nur! Aber trotzdem eine Heldenthat meines wackern Halef, zu welcher ihm jedenfalls nur seine Liebe zu mir die Überwindung gegeben hatte.
»Du kannst stolz darauf sein,« antwortete ich. »Das Herz des Hadschi Halef Omar schlägt Dir voll Dankbarkeit entgegen, weil Du Dich so freundlich meiner angenommen hast. Auch ich werde Dir dankbar sein, Madana« – hierbei machte sie unwillkürlich eine Bewegung, als wolle sie mir die Finger zum Handkusse entgegenstrecken, und daher fügte ich sehr eilig hinzu: – »nur mußt Du warten, bis ich wieder in Lizan bin.«
»Ich werde warten, Herr!«
»Jetzt werde ich mit Ingdscha zur Höhle gehen. Was wirst Du thun, wenn Jemand unterdessen kommt, um nach mir zu sehen?«
»Emir, rathe mir!«
»Bleibst Du hier, so trifft Dich der Zorn des Betreffenden. Daher ist es besser, Du versteckst Dich, bis wir zurückkehren.«
»Ich werde Deinen Rath befolgen und an einen Ort gehen, wo ich die Hütte beobachten und auch Eure Rückkehr bemerken kann.«
»So wollen wir aufbrechen, Ingdscha.«
Ich steckte die Waffen zu mir und nahm den Hund an die Leine.
Die Jungfrau schritt voran, und ich folgte ihr.
Wir gingen eine Strecke weit den Weg zurück, auf welchem ich zur Hütte gebracht worden war; dann stiegen wir rechts aufwärts und verfolgten die Richtung, bis wir die Höhe erklommen hatten. Dieselbe war mit Laubwald bestanden, so daß wir eng neben einander gehen mußten, um uns nicht zu verlieren.
Nach einiger Zeit lichtete sich die Holzung wieder, und wir hatten einen schmalen Felsensattel zu überschreiten, welcher zu einer steilen Falte des Berges führte.
»Nimm Dich in Acht, Herr,« warnte das Mädchen. »Von jetzt an wird der Weg sehr beschwerlich.«
»Das ist nicht gut für alte Leute, die zu dem Geist der Höhle wollen. Hier können nur junge Füße steigen.«
»O, auch die Alten können empor, nur müssen sie einen Umweg machen. Von jenseits führt ein ganz guter Pfad bis in die Nähe der Höhle.«
Indem wir einander gegenseitig stützten, kletterten wir Hand in Hand empor und gelangten schließlich in ein Gewirr von großen Steinblöcken, zwischen denen ich das Ziel unserer Wanderung vermuthete, welche bis jetzt über eine halbe Stunde gedauert hatte.
Jetzt bildeten die Blöcke eine Art offenen Gang, in dessen Hintergrunde sich eine dunkle Wand erhob. Ingdscha blieb stehen.
»Dort ist es,« sagte sie, auf das Dunkel deutend. »Du gehst gradaus und wirst am Fuße jener Wand eine Öffnung sehen, in die Du das Licht setzest, nachdem Du es angezündet hast. Dann kehrst Du zu mir zurück. Ich warte hier auf Dich.«
»Kann man das Licht hier sehen?«
»Ja. Aber es wird jetzt vergebens brennen, denn es ist noch lange nicht Mitternacht.«
»Ich werde es doch versuchen. Hier ist die Leine; halte einstweilen den Hund und lege ihm die
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