Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
hättest!«
»Ich habe Recht, das darfst Du mir glauben! Wenn es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu Stande zu bringen, so brechen noch viel schlimmere Zeiten über Euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-Bey. Es ist dann sehr wahrscheinlich, daß die Chaldani mit Weib und Kind vollständig ausgerottet werden.«
»Ist dies wirklich Dein Ernst, Emir?«
»Wirklich und wahrhaftig!«
»O Jesus, was sollen wir thun?«
»Weißt Du, wo Dein Vater die Streitsüchtigen versammeln will?«
»Nein; das konnte ich nicht erfahren.«
»Weißt Du auch nicht, wo er sich jetzt befindet?«
»Er reitet von einem Orte zum andern, um die Männer zum Kampfe aufzumuntern.«
»So kann uns nur vielleicht der Ruh ‘i kulyan helfen. Bis dahin aber muß ich Vorbereitungen treffen.«
»Thue es, Herr, und alle Friedfertigen werden Dein Andenken segnen, wenn Du längst nicht mehr bei uns bist!«
Das Mahl war beendet, und daher frug ich Halef:
»Wirst Du den Weg nach Lizan finden können, doch so, daß Dich unterwegs Niemand bemerkt?«
Er nickte, und ich fuhr fort:
»Du gehst zum Melek und zum Bey von Gumri und sagst ihnen, wie und wo Du mich gefunden hast.«
»Soll ich sagen, wer Dich überfallen hat?«
»Ja. Nedschir-Bey hat mich gefangen genommen, damit ich den Frieden nicht vermitteln könne. Er verlangt für meine Freiheit mein Pferd, mein Eigenthum und Alles, was meine Gefährten bei sich tragen.«
»Der Scheïtan soll’s ihm geben!«
»Du siehst, daß man mir bereits Alles genommen hat. Laß mir Deine Pistolen und Dein Messer hier. Auch den Hund behalte ich da.«
»Nimm die Flinte dazu, Sihdi! Ich komme auch ohne Waffen nach Lizan zurück.«
»Die Flinte könnte mir hinderlich sein. Erzähle dann dem Bey und dem Melek, daß der Raïs von Schohrd Boten gesandt hat in alle Orte auf- und abwärts von Lizan, um die Einwohner zum Kampfe aufzuwiegeln. Sie sollen sich während der Nacht an einem Orte versammeln, den ich leider nicht kenne, und dann wollen sie über die Berwari herfallen. Auch der Raïs selbst reitet überall herum; und ich lasse dem Melek sagen, daß er ihn sofort festnehmen soll, sobald er ihn erwischen kann.«
»Sihdi, ich wollte, ich träfe diesen Menschen jetzt unterwegs; ich habe ihn mir genau gemerkt und würde ihn unschädlich machen.«
»Du allein? Das laß bleiben! Du bist ihm nicht gewachsen; er ist zu stark für Dich.«
Der kleine Mann erhob sich mit der Miene eines Beleidigten, reckte seine geschmeidigen Glieder und rief:
»Zu stark für mich? Was denkst Du, Sihdi, und wo ist Dein weises Urtheil auf einmal hingerathen! Habe ich nicht Abu Seïf besiegt? Habe ich nicht noch viele andere große Thaten verrichtet? Was ist dieser Nedschir-Bey gegen den berühmten Hadschi Halef Omar? Ein blinder Frosch, eine lahme Kröte, die ich zertreten werde, sobald ich sie erblicke. Du bist Emir Kara Ben Nemsi, der Held aus Frankistan; soll ich, Dein Freund und Beschützer, mich vor einem zerlumpten Chaldani fürchten? O Sihdi, wie wundere ich mich über Dich!«
»Wundere Dich meinetwegen, aber sei vorsichtig. Es kommt jetzt Alles darauf an, daß Du glücklich Lizan erreichst.«
»Und wenn sie nun fragen, wann Du mir nachfolgen wirst; was soll ich ihnen antworten?«
»Sage ihnen, daß ich wohl bis zum Morgen bei ihnen sein werde.«
»So nimm hier die Pistolen und den Dolch, auch hier den Kugelsack, und Allah behüte Dich!«
Dann trat er zu Ingdscha und reichte ihr die Hand:
»Lebe wohl, Du schönste unter den Schönen! Wir sehen uns wohl wieder.«
Auch der guten ›Petersilie‹ reichte er die Hand:
»Lebe wohl, auch Du, liebliche Mutter der Chaldani! Meine Augenblicke bei Dir waren süß, und wenn Du Dir auch einen Löffel wünschest, so werde ich Dir sehr gern einen schnitzen, damit Du denken kannst an Deinen Freund, der von Dir geht. Sallam, Du Kluge, Du Treue, Sallam!«
Sie verstanden zwar Beide nicht, was er sagte, aber sie nahmen seine Worte freundlich auf, und Madana verließ sogar mit ihm die Hütte, um ihn eine Strecke zu begleiten.
Ich blickte durch den Eingang, um an dem Stand der Sterne die Zeit zu bemessen; denn auch die Uhr war mir abgenommen worden. Es mochte vielleicht zehn Uhr sein.
»Es ist zwei Stunden vor Mitternacht. Wann gehen wir?« frug ich das Mädchen.
»In einer Stunde.«
»Meine Zeit ist sehr kostbar. Kann man mit dem Geist der Höhle nicht eher sprechen?«
»Die rechte Zeit ist genau um Mitternacht. Er wird zornig, wenn man eher kommt.«
»Bei
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