Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
ich. Ich wohne da oben zwischen den Felsen; mein Weib ist todt, meine Brüder und Kinder sind ermordet; ich habe nicht einmal ein Pferd, ich habe nur mein Messer und meine Flinte. Heute hörte ich Schüsse fallen und stieg hernieder, um dem Kampfe zuzuschauen. Ich sah meine Feinde, die Bebbeh, und griff zu meiner Flinte. Hinter den Bäumen versteckt, habe ich mehr als Einen niedergeschossen; Du kannst meine Kugeln noch in ihren Leibern finden. Ich tödtete sie aus Haß und weil ich mir ein Pferd erkämpfen wollte. Da bemerkte dieser Hund die Blitze meines Gewehres und hielt mich für einen Feind. Er griff mich an. Das Messer war mir entfallen, und das Gewehr war noch nicht wieder geladen. Ich versuchte, ihn mit dem Laufe der Flinte von mir abzuhalten, und wich zurück; er aber warf mich endlich doch zu Boden. Ich sah, daß er mich zerreißen würde, wenn ich es wagte, eine Bewegung zu machen, und so blieb ich bis jetzt ruhig liegen. Es waren fürchterliche Stunden!«
Dieser Mann sprach die Wahrheit; das hörte ich; aber ich mußte dennoch vorsichtig sein.
»Willst Du uns Deine Wohnung zeigen?« frug ich.
»Ja. Es ist eine Hütte aus Moos und Zweigen, mit einem Lager aus Gras und Blättern; weiter seht Ihr nichts.«
»Wo ist Dein Gewehr?«
»Es muß hier in der Nähe liegen.«
»Suche es!«
Er entfernte sich suchend, während wir Beide stehen blieben.
»Sihdi,« flüsterte Halef, »er wird entfliehen.«
»Ja, wenn er ein Bebbeh ist. Ist er jedoch wirklich ein Soran, so wird er wiederkommen, und dann dürfen wir ihm vertrauen.«
Wir brauchten nicht lange zu warten, so rief es von unten:
»Kommt herab, Herr! Ich habe Beides gefunden, das Messer und auch die Flinte.«
Wir stiegen zu ihm hinab. Er schien also doch ein ehrlicher Mann zu sein.
»Du wirst uns zum Lager begleiten,« sagte ich.
»Gern, Herr!« antwortete er. »Aber mit dem Perser werde ich nicht reden können, denn ich spreche nur Kurdisch und die Sprache der Hagari.«
»Redest Du das Arabische vollständig?«
»Ja, ich bin bis an das Meer hinuntergekommen und bis weit zum Phrat hinüber und kenne diese Gegenden und ihre Wege.«
Ich freute mich dessen, denn es war sehr vortheilhaft für uns, diesen Mann gefunden zu haben. Sein Erscheinen erregte am Lagerfeuer Aufsehen; den meisten Eindruck aber machte es auf Amad el Ghandur, der sich bei dem Anblick des Kurden sofort aus seiner geistigen Erstarrung emporraffte.
Der junge Haddedihn-Scheik hielt den Soran-Kurden für einen Bebbeh und fuhr mit der Hand nach dem Dolch. Ich legte meine Hand auf seinen Arm und sagte ihm, der Fremde sei ein Feind der Bebbeh und stehe unter meinem Schutz.
»Ein Feind der Bebbeh! Kennst Du sie und ihre Wege?« frug er nun hastig den Soran-Kurden.
»Ich kenne sie,« antwortete der Mann.
»So werde ich weiter mit Dir reden.«
Nach diesen Worten drehte sich Amad el Ghandur um und nahm wieder bei der Leiche Platz. Ich aber erklärte dem Perser das Zusammentreffen mit dem Soran-Kurden, und er war damit einverstanden, daß dieser Mann in unserm Lager bleiben dürfe.
Einige Zeit später kehrten die Nuker zurück und meldeten, daß die Bebbeh eine ziemliche Strecke gegen Süden geritten seien und sich dann auf einem Umweg rechts nach den Hügeln von Merivan zurückgewendet hätten. Wir durften nun wohl nichts mehr von ihnen befürchten, und die Perser begaben sich zur Ruhe, nachdem die nöthigen Vorsichtsmaßregeln von ihnen und von uns gemeinschaftlich getroffen worden waren.
Ich suchte Amad el Ghandur auf und bat ihn, auch sich Ruhe zu gönnen.
»Ruhe?« antwortete er. »Emir, Ruhe hat nur Einer: dieser Todte hier. Leider wird er nicht ruhen in den Grabstätten der Haddedihn, in die Erde gebettet von den Kindern seines Stammes, die ihn beweinen; er wird liegen in dieser fremden Erde, über welcher der Fluch Amad el Ghandur’s schwebt. Er war ausgezogen, mich zur Heimat zu bringen. Glaubst Du, daß ich diese Heimat wiedersehen werde, ohne seinen Tod zu rächen? Ich habe Beide gesehen: den, der ihn stach, und auch den, der ihm die Kugel in die hohe Stirne trieb. Sie sind beide entkommen, aber ich kenne sie und werde sie zum Scheïtan senden!«
»Ich begreife Deinen Zorn und verstehe Deinen Schmerz; aber ich bitte Dich, die Klarheit Deines Auges zu bewahren. Du willst den Bebbeh nachreiten, um den Tod Deines Vaters zu rächen. Hast Du überlegt, was das heißt?«
»Die Thar, die Blutrache, gebietet es, und ich habe zu gehorchen. Du bist ein Christ, Du begreifst uns
Weitere Kostenlose Bücher