Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
zweiundachtzigsten Sure:
    »Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wenn die Himmel sich spalten und die Sterne sich zerstreuen, die Meere sich vermischen und die Gräber sich umkehren, dann wird eine jede Seele wissen, was sie gethan und was sie unterlassen hat. So ist es, und doch leugnen sie den Tag des Gerichtes. Aber es sind Wächter über Euch gesetzt, die da Alles niederschreiben und Alles sehen, was Ihr thut. Die Gerechten werden erlangen die Wonne des Paradieses, die Missethäter aber die Qualen der Hölle. An diesem Tage vermag keine Seele etwas für die andere, denn an diesem Tage gehört die Herrschaft nur Gott allein!«
    Jetzt war die Öffnung zugesetzt, und es bedurfte noch des Schlußgebetes. Ich hatte auch das übernommen, aber Halef trat vor. In dem Auge des wackern kleinen Hadschi glänzten Thränen, und seine Stimme zitterte, als er sagte:
    »Ich will beten!« – Er kniete nieder, faltete die Hände und sprach: »Ihr habt gehört, daß wir Alle Brüder sind, und daß Allah uns Alle versammeln wird am Tage des Gerichtes. Da drüben ist die Sonne gesunken, und morgen wird sie von Neuem emporgestiegen sein; so werden auch wir da oben auferwachen, wenn wir hier gestorben sind. O Allah, laß uns da zu denen gehören, die Deiner Gnade würdig sind, und scheide uns nicht von denen, die wir hier lieb gehabt haben. Du bist der Allmächtige und kannst auch dieses Gebet erfüllen!« –
    Das war ein seltenes Begräbniß. Ein Christ, zwei Sunniten und ein Schiite hatten über dem Grabe des Todten gesprochen, ohne daß Muhammed einen Blitz herniederfallen ließ. Was mich betrifft, so glaubte ich, keine Sünde zu thun, wenn ich von dem todten Freunde Abschied nahm in der Sprache, die er im Leben gesprochen hatte; die Betheiligung des Persers aber war ein Beweis, daß er an Bildung des Geistes und Herzens den moslemitischen Troß weit überragte. Halef hätte ich zum Dank für seine einfachen, kurzen Sätze gleich umarmen können. Ich wußte es längst: er war, ohne es selbst zu ahnen, nur noch äußerlich ein Moslem, innerlich aber bereits ein Christ.
    Wir schickten uns an, den Felsblock zu verlassen. Da zog Amad el Ghandur seinen Dolch und schlug mit demselben von einem Steine des Grabmales ein Stück herab, welches er einsteckte. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, und war nun überzeugt, daß ihn kein menschliches Wesen zu überreden vermochte, seine Rache aufzugeben. Er aß und trank im Verlaufe des Abends nichts, nahm mit keinem Worte an unserer Unterhaltung Theil und zeigte auch mir gegenüber keine Lust, sich in ein noch so kurzes Gespräch einzulassen. Nur auf eine einzige Bemerkung antwortete er.
    »Du weißt,« sagte ich nämlich zu ihm, »daß Mohammed Emin den Rappen zurückgenommen hat. Jetzt gehört er Dir.«
    »So habe ich das Recht, ihn wieder zu verschenken?«
    »Ohne Zweifel.«
    »Ich schenke ihn Dir.«
    »Ich nehme ihn nicht an.«
    »So werde ich Dich zwingen, ihn zu behalten!«
    »Wie willst Du dies anfangen?«
    »Du wirst es sehen. Leïlkum saaïde – gute Nacht!«
    Er wandte sich ab und ließ mich stehen. Ich merkte, daß es jetzt an der Zeit sei, in Beziehung auf ihn meine Aufmerksamkeit zu verdoppeln. Es sollte aber anders kommen. Es war heute überhaupt ein trüber, ja trauriger Abend. Der Perser hatte sich hinter die Zweigwand zurückgezogen; seine Leute hocktenbei einander, und ich saß mit Halef und dem Engländer schweigsam an der Quelle, wo wir bemüht waren, unsere brennenden Wunden zu kühlen. Der Tod Mohammed’s hatte einen Jeden von uns mehr angegriffen, als er es den Andern eingestehen wollte. Durch die Hitze, mit welcher mein Blut in den Adern fluthete, zuckte zuweilen ein kalter, schüttelnder Schauer – es war das Nahen des Wundfiebers. Auch Halef fieberte bereits.
    Ich hatte eine schlechte Nacht, aber meine kräftige Natur ließ es doch zu keinem ordentlichen Anfalle kommen. Es war, als fühlte ich jeden einzelnen Tropfen meines Blutes durch die Adern rinnen; halb wach, halb träumend oder phantasirend, schob ich mich hin und her; ich sprach mit allen möglichen Personen, die mir die Einbildungskraft vorführte, und wußte doch, daß es Täuschung sei, und erst am Morgen fiel ich in einen festern Schlaf, aus dem ich erst – – gegen Abend erwachte. Der bereits erwähnte Duft umfluthete mich, aber anstatt der beiden schönen Augenpaare sah ich die mächtige Aleppobeule auf der Nase des Engländers mir entgegenleuchten.
    »Wieder munter?« frug er.
    »Ich glaube. Was!

Weitere Kostenlose Bücher