Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Inglis nicht reden konnte.«
»Hat er viel Gepäck bei sich?«
»Das Gepäck und die Packpferde gehören dem Engländer; der Dragoman hat nur einige große Schachteln dabei, die ihm sehr werth sein mögen.«
»In welchem Hause sind sie geblieben?«
»In keinem. Ich wurde in Sebdani bezahlt und konnte umkehren; sie aber ritten weiter, obgleich ihre Pferde fast zusammenbrachen. Ich blieb bei einem Bekannten, um auszuruhen, und reite nun wieder nach Damaskus.«
Es war mir darum zu thun, das Äußere des Engländers kennen zu lernen, und da ich in dem Gesangszelte vor Damaskus eine darauf bezügliche Frage unbegreiflicher Weise vergessen hatte, so holte ich sie jetzt nach:
»Hast Du nicht den Namen des Engländers gehört?«
»Der Dragoman sagte immer das Wort ›Sörr‹ zu ihm.«
»Das ist kein Name, sondern das heißt ›Herr‹. Besinne Dich!«
»Er sagte zuweilen zu diesem Sörr noch ein Wort, aber ich weiß nicht genau, wie es lautet, Liseh oder Linseh.«
Ich horchte auf. Sollte es möglich sein! Nein, das war ja ganz und gar undenkbar, dennoch aber frug ich:
»Lindsay vielleicht?«
»Ja, ja, so lautete das Wort, grad so.«
»Beschreibe mir den Mann!«
»Er hatte ganz graue Kleider, welche neu waren, und sein Hut war auch grau und so hoch wie bis herauf zu meinem Knie. Er hatte blaue Gläser vor den Augen und eine Hacke immer in der Hand, auch wenn er zu Pferde saß.«
»Ah! Und seine Nase?«
»Die war sehr groß und roth. Er hatte die Aleppo-Beule daran. Auch sein Mund war groß und breit.«
»Hast Du nichts an seinen Händen bemerkt?«
»Ja. An seiner linken Hand fehlten zwei Finger.«
»Er ist’s; Halef, hast Du es gehört? Der Engländer lebt noch!«
»Hamdulillah!« rief der kleine Hadschi. »Allah ist groß und stark und ihm ist Alles möglich. Er macht todt und lebendig, wie es ihm gefällt.«
Jacub konnte sich unsere Freude nicht erklären; darum erzählte ich ihm das Nöthige und bat dann, unsern Weg rasch fortzusetzen. Es war mir nicht beruhigend, den so unverhofft von dem Tode Erstandenen in der Gewalt eines Schurken zu wissen.
Der alte Führer ritt weiter, und wir passirten nun einige Dörfer, welche einen sehr freundlichen Anblick boten. Bald jedoch hörte das liebliche Grün der Gartenterrassen auf. Wir ritten über eine Brücke über den Barrada, auf das linke Ufer desselben, und gelangten in einen Engpaß, dessen Sohle nur Raum für unsern Weg und das Bett des Flusses hatte. Die Wände der engen, dunklen Schlucht stiegen steil auf, und besonders in die nördliche Wand derselben waren zahlreiche Felsengräber eingehauen, zu denen wohl früher Stiegen geführt hatten, die jetzt aber eingestürzt waren. Dieser Paß heißt Suk el Barrada und führt zur Ebene von Sebdani, auf welcher die gleichnamige Stadt liegt.
Nachdem wir den Paß hinter uns liegen und damit den südöstlichen Theil der genannten Ebene vor uns hatten, passirten wir noch einige Dörfer und erreichten nach einem beschwerlichen Ritte Sebdani in einem Zustande, welcher uns die Fortsetzung des Rittes unmöglich machte. Mein Rappe und auch Halef’s Pferd waren ermüdet, aber die anderen Thiere brachen fast zusammen. Das war es, was ich mir vorher gedacht hatte.
Sebdani ist ein schön gebautes Dorf mit stattlichen Häusern und fruchtbaren Gärten, trotzdem es in einer bedeutenden Höhe liegt. Seine Bewohner sind meist Maroniten. Die Khawassen hatten für sich und uns sehr schnell Quartier gemacht, und wir befanden uns wohl.
Hier erfuhren wir nur, daß der Führer da übernachtet hatte; aber der Vorsteher des Ortes sandte einen Boten nach dem nächsten Dorfe, Namens Schijit, um Erkundigung einzuziehen, und als dieser am Abend zurückkehrte, berichtete er, daß der Inglis in Schijit übernachtet habe und dann mit einem Manne von dort und mit dem Diener und Dolmetscher nach Sorheïr aufgebrochen sei. Ob er dann weiterreiten werde, das wußte Niemand zu sagen.
Kaum graute der Morgen des nächsten Tages, so saßen wir wieder auf. Wir ließen die Weinstöcke und Maulbeerbäume Sebdani’s hinter uns, um Schijit zu erreichen. Der Dolmetscher hatte, wie mir die Sängerin berichtete, von einem Olivenölgeschäfte nach Beirut gesprochen. Das Olivenölgeschäft war natürlich nur eine Lüge, aber Beirut mußte doch sein Ziel gewesen sein, da er ja in Beziehung auf das Letztere dem Briten die Wahrheit sagen mußte. Warum er aber diesen Weg hier eingeschlagen und die eigentliche Straße von Damaskus nach Beirut vermieden
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