Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Sklavin an Dich verkaufte!«
»Das wirst Du nicht erfahren!«
»Siehst Du, Feigling! Wüßtest Du gewiß, daß ich hier sterben würde, so könntest Du mir dies ruhig sagen!«
»Nicht deßhalb schweige ich; Du sollst keinen Wunsch mehr haben, welcher Erfüllung findet. Jetzt schweige! Ich werde schlafen, weil die Nacht neue Kräfte von mir fordern wird.«
»Du wirst nicht schlafen können, denn Dein Gewissen läßt Dich niemals ruhen.«
»Ein Giaur mag ein Gewissen haben; ein Gläubiger verachtet es!«
Ich hörte an dem Rascheln seiner Kleider, daß er sich zum Liegen ausstreckte. Wollte er wirklich schlafen? Unmöglich! Oder sollte dies eine neue Qual für mich bedeuten? Wollte er mit mir spielen, wie der Knabe mit dem Käfer an der Schnur?
Ich beobachtete ihn scharf. Nein, er wollte nicht schlafen. Er schloß zwar die Augen, aber wenn er sie öffnete, um nachmir zu sehen, so geschah dies nicht müd und schläfrig, sondern ich sah die runden Stellen mit Anstrengung auf mich gerichtet. Er hätte ja nicht schlafen können, sobald er nur an die Art und Weise dachte, wie er mich gefesselt hatte. Er hatte mir Etwas um die beiden Fußknöchel und Etwas um die Handgelenke gebunden, und da ich die Arme vorn hatte, so konnte ich mit Bequemlichkeit bis zu den Füßen langen.
Hätte ich nur ein Messer gehabt! Aber er hatte mir ja die Taschen ausgeleert. Welch ein Glück übrigens, daß ich nur das Messer und die zwei Revolver bei mir getragen hatte! Mußte ich wirklich hier elend umkommen, so erbte doch wenigstens Halef die Waffen, anstatt daß sie diesem Menschen in die Hände fielen.
Aber umkommen! War es denn wirklich so weit? Vermochte ich mich nicht zu wehren? Da ich die Arme ein wenig rühren konnte, war es ja nicht unmöglich, ihm ein Messer zu entreißen. Wenn ich das fertig brachte und es mir dann gelang, nur fünf Sekunden lang mich von ihm frei zu machen, so war ich gerettet. Und das mußte bald geschehen. Es war seit meinem Eintritte in den Gang gewiß eine sehr lange Zeit vergangen, und wie leicht konnte es ihm einfallen, mich doch noch zu erschießen, um meines Todes gewiß zu sein, was aber nicht der Fall war, wenn er mich, obgleich gebunden, hier zurücklassen mußte.
Ich überlegte. Konnte ich mich sachte zu ihm beugen und mit den Spitzen meiner Finger möglichst leise in seinem Gürtel nach dem Griffe seines Messers suchen? Das war unmöglich. Oder mich auf ihn werfen und ihn mit den Händen erwürgen? Ich konnte ja meine Hände nicht so weit aus einander bringen, als nöthig ist, einen starken Männerhals zu umfassen. Oder sollte ich meine Füße als Angriffswaffe benützen? Vielleicht mit ihnen seine Schläfe zu treffen suchen? Auch das ging nicht, denn wenn ich die rechte Stelle nicht traf, so war Alles verloren. Gleich der erste Griff mußte mich zu einem Messer bringen, sonst war jede Mühe und jedes Wagen umsonst.
Darum versuchte ich es, mich leise, ganz leise zunächst in sitzende Stellung zu erheben. Kein Fältchen meines Gewandes durfte knittern oder rauschen, und ich mußte meine Augen schließen, damit er aus der Stellung derselben nicht auch die Stellung meines Körpers errathen konnte. Denn grad so, wie ich seine Augen sehen konnte, vermochte er ja auch die meinigen zu erkennen. –
Es gelang, und nach langer, langer Anstrengung kam ich auch auf die Füße zu kauern. Ich schloß die Augen jetzt nur halb, um einen seiner Blicke zu erhaschen. Jetzt sah er nach mir herüber – und kaum hatte er die Lider geschlossen, so stieß er einen Schrei aus: mein rechtes Knie lag auf seiner Kehle, und mein linkes auf seiner Brust. Er fuhr in augenblicklicher Angst mit den beiden Händen nach dem Halse, um diesen frei zu machen, und das gab mir Raum und Gelegenheit, mit den zusammengebundenen Händen an seinen Gürtel zu kommen. Ich tastete den Griff eines Messers und zog es heraus. Er fühlte das und erkannte die Gefahr, in der er sich befand. Mit einem gewaltigen Rucke warf er mich ab und sprang auf.
Unter dem Rufe: »Hund, Du entkommst mir nicht!« griff er nach mir.
Aber nur sein äußerster Finger streifte mich. Ich wußte jetzt, daß er einen Augenblick später genau dahin greifen werde, wo sein Finger mich gefühlt hatte; ich bückte mich, schnellte mich zur Seite und dann hinter ihm hinum.
»Ah, fort! Giaur, wo bist Du? Mir entkommst Du nicht!«
Jetzt nun, da er mich nach der andern Seite hin vermuthete, konnte ich den Schnitt thun, welcher meine Füße frei machte; sodann schlich ich
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