Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
sah es ihm sofort an, daß er kein Araber sondern ein Türke war; der Sambuk zeigte die Farben des Großherrn, und die Bemannung trug türkische Uniformen.
Keiner der Männer rührte sich von seinem Platze, als wir uns nahten. Ich ritt bis hart an den Anführer heran, hob die Rechte zur Brust empor und grüßte ihn absichtlich nicht in türkischer, sondern in arabischer Sprache.
»Gott schütze dich! Bist du der Kapitän dieses Schiffes?«
Er richtete die Augen mit stolzem Aufschlage zu mir empor, musterte mich sehr eingehend und sehr lange und antwortete endlich:
»Ich bin es.«
»Wohin geht dein Sambuk?«
»Überall hin.«
»Was hast du geladen?«
»Verschiedenes.«
»Nimmst du auch Passagiere auf?«
»Das weiß ich nicht.«
Das war mehr als einsilbig, das war grob. Daher schüttelte ich den Kopf und meinte in mitleidigem Tone:
»Du bist ein Kelleh, ein Unglücklicher, den der Kuran dem Mitleide der Gläubigen empfiehlt. Ich bedaure dich!«
Er sah mich mit einem halb zornigen, halb überraschten Blick an.
»Du bedauerst mich? Du nennst mich einen Unglücklichen? Warum?«
»Allah hat deinem Munde die Gabe der Sprache verliehen, aber deine Seele ist stumm. Wende dich nach der Kiblahund bitte Gott, daß er ihr die Sprache wiedergebe, sonst wird sie einst unfähig sein, in das Paradies zu kommen!«
Richtung nach Mekka, beim Gebete vorgeschrieben.
Er lächelte verächtlich und legte die Hand an den Gürtel, in welchem zwei riesige Pistolen steckten.
»Schweigen ist besser als schwatzen. Du bist ein Schwätzer; der Wergi-Baschi Muhrad Ibrahim aber zieht es vor, zu schweigen.«
»Wergi-Baschi? Oberzolleinnehmer? Du bist ein großer und jedenfalls auch ein berühmter Mann, aber du wirst mir trotzdem Antwort geben, wenn ich dich frage.«
»Du willst mir drohen? Ich sehe, daß ich recht gedacht habe: Du bist ein Arab Dscheheïne.«
Die Araber vom Stamme Dscheheïne sind am roten Meere als Schmuggler und Räuber bekannt. Der Zolleinnehmer hielt mich für einen solchen; das war der Grund seines abstoßenden Benehmens gegen mich.
»Fürchtest du dich vor den Beni Dscheheïne?« fragte ich ihn.
»Fürchten? Muhrad Ibrahim hat sich noch niemals gefürchtet!«
So stolz sein Auge bei diesen Worten leuchtete, lag doch in seinem Gesichte etwas, was mich an seinem Mute zweifeln ließ.
»Und wenn ich nun ein Dscheheïne wäre?«
»Ich würde dich nicht fürchten.«
»Natürlich. Du hast zwölf Gemi-taïfasylerbei dir und acht Diener, während bei mir nur drei Männer sind. Aber ich bin kein Dscheheïne; ich gehöre gar nicht zu den Beni Arab, sondern ich komme aus dem Abendlande.«
Matrosen.
»Aus dem Abendlande? Du trägst doch die Kleidung eines Beduinen und redest die Sprache der Araber!«
»Ist dies verboten?«
»Nein. Bist du ein Fransez oder ein Ingli?«
»Ich gehöre zu den Nemsi.«
»Ein Nemtsche,« meinte er mit geringschätziger Miene. »So bist du ein Bostandschioder ein Bazirgian?«
Gärtner.
Kaufmann.
»Keines von beiden. Ich bin ein Jazmakdschi.«
»Ein Schreiber? O jazik, o wehe, und ich habe dich für einen tapfern Beduinen gehalten! Was ist ein Schreiber? Ein Schreiber ist kein Mann; ein Schreiber ist ein Mensch, welcher Federn ißt und Tinte trinkt; ein Schreiber hat kein Blut, kein Herz, keinen Mut, kein – – –«
»Halt!« unterbrach ihn da mein Diener. »Muhrad Ibrahim, siehst du, was ich hier in meiner Hand halte?«
Er war abgestiegen und stellte sich mit der Nilpeitsche vor den Türken. Dieser zog die Brauen finster zusammen, antwortete aber doch:
»Die Peitsche.«
»Schön. Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah. Dieser Sihdi ist Kara Ben Nemsi, der sich vor keinem Menschen fürchtet. Wir haben die Sahara und ganz Ägypten durchwandert und haben große Heldenthaten verrichtet; man wird von uns erzählen in allen Kaffeehäusern und auf allen Kirchhöfen der Welt, und wenn du es wagst, noch ein einziges Wort zu sagen, welches meinem Effendi nicht gefällt, so wirst du diese Peitsche kosten, obgleich du ein Wergi-Baschi bist und viele Männer hier bei dir hast!«
Diese Drohung hatte eine außerordentlich rasche Wirkung. Die beiden Beduinen, welche bis hierher meine Begleiter gewesen waren, wurden vom Schreck über die Kühnheit Halefs um einige Schritte zurückgeworfen; die Matrosen und übrigen Begleiter des Türken sprangen auf und griffen zu den Waffen, und der Baschi hatte sich mit derselben Schnelligkeit erhoben. Er griff
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