Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
etwas sparen zu können, war er Lastträger geworden, gewiß eine große Überwindung für einen freien Araber; und als ich ihn fragte, wie lange er noch so aussichtslos in Constantinopel bleiben wolle, antwortete er:
»Sihdi, vielleicht verlasse ich die Stadt sehr bald. Allah hat mir erlaubt, einen sehr wichtigen Namen zu entdecken.«
»Welchen?«
»Sagtest Du nicht damals am Schott Dscherid, daß dieser Abu el Nassr eigentlich Hamd el Amasat heiße?«
»Allerdings.«
»Ich habe hier einen Mann entdeckt, welcher sich Ali Manach Ben Barud el Amasat nennt!«
»Ah! Wer ist es?«
»Ein junger Derwisch des Klosters, welches Du soeben besucht hast. Ich war dort, um in seiner Zelle mit ihm zu sprechen und ihn auszuforschen; da aber erblickte ich Dich und hatte also keine Zeit für ihn.«
»Ali Manach Ben Barud el Amasat!« rief Isla so eifrig, daß ich ihn auf die übrigen Besucher des Kaffeehauses aufmerksam machen mußte. »Er ist also der Sohn jenes Barud el Amasat, welcher mein Weib verkauft hat? Ich werde sofort in das Kloster gehen, um mit ihm zu sprechen!«
»Das wirst Du nicht,« sagte ich. »Amasat ist kein seltener Name. Vielleicht steht dieser Derwisch in gar keiner Beziehung zu dem Manne, welchen Du meinst. Und wenn es wirklich so ist, wie Du denkst, so muß man vorsichtig sein. Willst Du mir erlauben, hin zu gehen?«
»Ja, gehe, Effendi! Aber gleich! Wir werden Dich hier erwarten.«
Ich forschte weiter:
»Wie hast Du erfahren, daß der Derwisch den Namen Amasat führt?«
»Ich fuhr gestern mit ihm und einem seiner Genossen im Kaik nach Baharive Keui; sie sprachen mit einander, und da hörte ich seinen Namen nennen. Es war bereits dunkel, und ich ging ihnen nach; sie blieben vor einem Hause stehen, welches verschlossen war. Als es geöffnet wurde, fragte eine Stimme, wer eintreten wolle, und sie antworteten: ›El Nassr‹. Ich mußte mehrere Stunden warten, ehe sie wieder kamen; es gingen viele Männer aus und ein, und Alle sagten, wenn sie gefragt wurden, dieses Wort. Kannst Du dies begreifen, Sihdi?«
»Hatten sie Laternen bei sich?«
»Nein, obgleich des Nachts Niemand ohne Laterne gehen darf; es war kein Khawaß in der Gegend. Ich bin den Beiden dann nachgefahren und ihnen bis zum Kloster der tanzenden Derwische gefolgt.«
»Hast Du das Wort ›El Nassr‹ richtig verstanden?«
»Ganz genau.«
Omar’s Bericht gab mir außerordentlich zu denken. Es fielen mir unwillkürlich die Worte ein, welche Abrahim Mamur zu mir sagte, als er mich in den Ruinen von Palmyra überwältigt hatte. Er hielt mich damals für vollständig unschädlich gemacht und erklärte mir prahlerisch, um mich zu peinigen, daß er das Haupt einer Mörderbande sei. Wenn dies auf Wahrheit beruhte, so mußte diese Bande über einen großen Theil der Türkei verbreitet sein, wie seine Beziehungen zu Ägypten und Damaskus bewiesen. Konstantinopel ist niemals frei von Verbrecherverbindungen gewesen, aber grad jetzt hatte die Unsicherheit den höchsten Grad erreicht. Man fand vollständig ausgeräumte Wohnungen und den Besitzer derselben ermordet oder verschwunden; man sah im goldenen Horn oder im Bosporus Leichen von Personen schwimmen, die allem Anscheine nach eines gewaltsamen Todes gestorben waren; es entstanden des Nachts in einer und derselben Minute an verschiedenen, weit von einander gelegenen Orten der Stadt Feuer, bei denen geraubt und gestohlen wurde und die in einem Zusammenhange mit einander zu stehen schienen; man begegnete des Nachts verdächtigen Gestalten, welche nicht mit Laternen versehen waren und, wenn sie von der Patrouille angehalten wurden, derselben förmliche Gefechte lieferten. Und unglaublich klingt es, wie die Gerechtigkeit mit solchen Menschen verfuhr. Einst wurde eine ganze Bande der gefährlichsten Menschen aufgehoben, und der Sultan verbannte sie nach Tripolis; nach einiger Zeit kehrte der Kapitän des Transportschiffes zurück und berichtete, daß er an der Küste von Tripolis Schiffbruch gelitten habe; alle Verbrecher, die sich an Bord befanden, seien ertrunken. Damit war die Sache abgemacht. Einige Tage später konnte man den ertrunkenen Spitzbuben in den Straßen der Stadt begegnen, und keinen Menschen schien das zu befremden.
Ich theilte den beiden Andern von meinen Gedanken noch nichts mit und erfuhr von Omar, daß der Derwisch Ali Manach in der fünften Zelle, vom Eingang an gerechnet, wohne. Dann begab ich mich nach dem Kloster zurück. Ohne mich um die Anwesenden zu bekümmern, schritt
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