Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
heißt?«
»Er wohnt bei uns.«
»Wo ist er jetzt?«
»Er ist nach dem Thurme von Galata lustwandeln gegangen.«
»Allein?«
»Mit dem Bruder meines Mannes.«
Das traf sich ja ganz außerordentlich! Wollten sie die Schmucksachen holen? Ich mußte ihnen nach. Ich erfuhr noch, daß sie erst vor ganz Kurzem fortgegangen seien. Ich erfuhr auch, daß Omar noch dagewesen war, als sie gingen, und er hatte gleich hinter ihnen das Haus verlassen. Der Rächer war also bereits hinter dem Mörder her. Ich stieg zu Pferde und trabte nach Galata hinab. In den finstern Straßen dieses Stadttheiles wimmelt es von Matrosen, Schiffssoldaten, schmutzigen Töpfern, Hammaliks, zudringlichen Schiffern, spanischen Juden und anderen eilfertigen Persönlichkeiten, so daß nicht leicht durch das Gedränge zu kommen ist.
Am größten wurde dieses Gedränge, als ich den Thurm erreichte. Es mußte irgend etwas ganz Außerordentliches geschehen sein, denn ich bemerkte ein Schieben und Stoßen, welches beinahe lebensgefährlich zu werden drohte. Ich bezahlte den Besitzer meines Miethgaules und trat hinzu, um mich zu erkundigen. Ein aus dem Chaos sich wieder heraus arbeitender Kaïkschi gab mir Auskunft:
»Es sind Zwei auf die Galerie des Thurmes gestiegen und über das Geländer gestürzt; sie liegen ganz zerschlagen auf der Erde.«
Da wurde mir Angst. Omar war den Beiden nachgegangen; war ihm vielleicht ein Unglück passirt?
Ich drängte mich mit aller Gewalt und Rücksichtslosigkeit vorwärts; ich hatte allerdings manchen Puff und Stoß, manchen Hieb und Tritt hinzunehmen, aber ich kam hindurch und sah nun innerhalb eines engen, von der Menschenmenge umschlossenen Kreises zwei menschliche Körper liegen, deren Anblick ein entsetzlicher war. Die Galerie des Genueserthurmes in Galata hat eine Höhe von ca. 140 Fuß; man kann sich also denken, wie die Leichen aussahen. Omar war nicht dabei, das sah ich an den Kleidern. Das Gesicht des Einen war unverletzt, und ich erkannte augenblicklich jenen Alexander Kolettis, welcher den Haddedihn wieder entkommen war. Aber wer war der Andere? Er war schlechterdings unmöglich zu erkennen. Er hatte einen fürchterlichen Tod gehabt, wie mir einer der Nahestehenden bemerkte, welcher es mit angesehen hatte. Es war ihm nämlich geglückt, schon während er im Stürzen war, mit der Hand den unteren Theil eines der Gitterstäbe zu erfassen; aber er hatte sich kaum eine Minute lang fest halten können, dann war er herabgestürzt.
Unwillkürlich warf ich einen Blick auf seine Hände. Ah, er hatte quer über die rechte Hand einen Schnitt; dies war jedenfalls diejenige, mit der er sich festgehalten hatte; er war nicht verunglückt, sondern er war herabgestürzt worden. Wo war Omar?
Ich drängte mich nach dem Thurme zu und trat ein. Ein Bakschisch erwarb mir die Erlaubniß, ihn zu besteigen. Ich eilte auf den fünf Steintreppen durch die fünf untersten Stockwerke, dann die nächsten drei Holztreppen bis in den Kaffeeschank empor. Nur der Kawehdschi war zu sehen, aber kein Gast. Bis hier herauf sind 144 Stufen zu steigen. Nun stieg ich noch die 45 Stufen bis zu dem Glockenstuhle empor, der mit Blech gedeckt und sehr abschüssig ist. Von hier aus schwang ich mich hinaus auf die Galerie. Ich suchte den etwa fünfzig Schritt betragenden Umkreis derselben ab und fand auf derjenigen Seite, wo unten die Todten lagen, mehrere Blutflecken. Es hatte ein Kampf Statt gefunden, ehe sie hinabgeworfen worden waren. Ein Kampf in dieser Höhe, auf glattem, abschüssigem Boden, und zwar Einer gegen Zwei, wie ich vermuthete! Es war schrecklich!
Ich stieg, ohne mich in der Kaffeestube zu verweilen, eilig wieder nach unten und lief nach Hause. Der Erste, welcher mir im Selamlik entgegentrat, war Jacub Afarah. Sein Gesicht glänzte vor Freude; er umarmte mich und rief:
»Emir, freue Dich mit mir; ich habe meine Juwelen wieder!«
»Undenkbar!« antwortete ich.
»Und dennoch ist es wahr!«
»Wie hast Du sie wieder erhalten?«
»Dein Freund Omar hat sie mir gebracht.«
»Woher hat er sie?«
»Ich weiß es nicht. Er gab mir das Packet und ging sofort hinüber in das Gartenhaus, wo er sich in seine Stube eingeschlossen hat. Er will keinem Menschen öffnen.«
»Ich werde sehen, ob er nicht mit mir eine Ausnahme macht.«
An der Thür des Gartenhauses stand Halef. Er trat mir nahe und sagte halblaut:
»Sihdi, was ist geschehen? Omar Ben Sadek kam nach Hause und blutete. Jetzt wäscht er sich die Wunde aus.«
»Er hat Abrahim
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