Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Nöthigung betrat, um den Offizier für seine Arroganz zu bestrafen und dem armen Juden zu einer Entschädigung zu verhelfen. Tausend Piaster klingt allerdings wie eine große Summe, aber es sind doch nur im höchsten Falle zweihundert Mark; damit war dem braven Baruch geholfen, wenn es auch zu wenig war, um einen Handel mit ›Juwelen und Alterthümern‹ damit zu begründen.
Der Mir Alai verließ mit einem stolzen Kopfnicken das Zimmer; Nasir aber nahm den freundlichsten Abschied von mir.
»Emir,« sagte er, »ich weiß, wie schwer es Dir wird, mit einem Gaste so scharf zu sprechen; aber ich hätte es an Deiner Stelle wenigstens ebenso gemacht. Er ist ein Günstling des Ferik-Pascha, weiter nichts. Lebe wohl, und gedenke meiner, wie ich auch Dein gedenken werde!«
Noch vor dem Verlaufe einer Stunde brachte ein Onbaschi einen Beutel, welcher die an den tausend Piastern fehlende Summe enthielt. Baruch tanzte vor Freude, und seine Frau nannte mich den gütigsten Effendi der Welt und versprach, mich täglich inihr Gebet einzuschließen. Das Glück der alten Leute söhnte mich mit meinem Bruch der Gastfreundschaft vollständig aus.
Am Abend waren wir alle vereint; es gab ein Abschiedsmahl, bei dem sich auch Senitza einfand. Sie als Christin durfte uns ihr Gesicht sehen lassen, wenn Isla ihr auch nicht erlaubte, unverschleiert auf die Straße zu gehen. Sie ging mit uns noch einmal ihre Erlebnisse durch: die Trauer, in welcher sie bei ihrer Gefangenschaft befangen gewesen war, und das Glück, als sie sich aus Abrahim Mamur’s Gewalt gerettet sah.
Am Schlusse nahm Lindsay Abschied. Seine Nase war so ziemlich von ihrer Beule befreit, so daß er sich auch wieder in London zeigen konnte. Als er ging, begleitete ich ihn nach seiner Wohnung. Dort entkorkte er noch eine Flasche Wein und gab mir die Versicherung, daß er mich wie einen Bruder liebe.
»Bin mit Euch vollständig zufrieden,« meinte er. »Nur Eins ärgert mich.«
»Was wäre das?«
»Habe mich von Euch herumschleppen lassen, ohne einen einzigen Fowling-Bull zu finden. Verdrießliche Geschichte! Yes!«
»Ich glaube, es gibt in England auch welche zu finden, die man gar nicht auszugraben braucht. Da laufen vielleicht genug John-Fowling-Bulls herum!«
»Soll das mir gelten?«
»Fällt mir gar nicht ein, Sir!«
»Habt Ihr Euch das mit dem Pferde überlegt?«
»Ja, ich verkaufe es nicht.«
»So behaltet es. Aber Ihr müßt trotzdem einmal nach England kommen; in zwei Monaten bin ich daheim. Verstanden? Und nun noch Eins! Ihr seid mein Führer gewesen, und ich habe Euch Euer Salair noch nicht bezahlt. Hier, nehmt!«
Er schob mir ein kleines Portefeuille zu.
»Macht keinen dummen Spaß, Sir!« sagte ich, es zurückschiebend. »Ich bin als Freund und Genosse mit Euch geritten, nicht aber als Euer Diener, den Ihr zu bezahlen habt.«
»Aber Master, ich denke, daß –«
»Denkt, was Ihr wollt, aber nicht, daß ich Geld von Euch nehmen werde,« unterbrach ich ihn. »Lebt wohl!«
»Werdet Ihr wohl gleich diese Brieftasche nehmen?«
»Adieu, farewell, Sir!«
Ich umarmte ihn schnell und eilte zur Thüre hinaus, ohne auf sein Rufen zu achten, welches hinter mir erscholl.
Den Abschied am andern Morgen von Maflei und Senitza kann ich übergehen. Als die Sonne sich im Osten erhob, hatten wir beinahe schon Tschatalsche erreicht, durch welches die Straße über Indschigis und Wisa nach Adrianopel führt. – – –
In Edrene h
Adrianopel, welches die Türken Edreneh nennen, ist nach Konstantinopel die bedeutendste Stadt des osmanischen Reiches. Hier residirten die Sultane von Murad dem Ersten an bis zu Mohammed dem Zweiten, welcher im Jahre 1453 Konstantinopel eroberte und seine Residenz dorthin verlegte. Auch später war es ein Lieblingsaufenthalt vieler Sultane, von denen besonders Mohammed der Vierte gern hier verweilte.
Unter den mehr als vierzig Moschee’n, welche die Stadt besitzt, ist die ›Selimje‹, die Selim der Zweite erbaute, berühmt. Sie ist noch größer als die Aja Sophia in Konstantinopel und verdankt ihre Entstehung dem berühmten Moshia-Architekten Sinan. Wie eine Oase in der Wüste liegt sie in Mitten einer kläglichen Anhäufung von Holzhäusern, deren bunt bemalte Mauern und Wände aus tiefem Schmutz und Straßenkot auftauchen. Der imposante Kuppelbau dieser Moschee wird im Innern von acht gigantischen Pfeilern getragen und äußerlich von vier wunderbar schlanken Minarehs belebt, von denen ein jedes drei Balkone für die
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