Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und dem Tiefländer.
Kühn, wie die Zacken seiner Felsen, rasch und beweglich, wie die Wasser seiner Fälle, Sturz- und Gießbäche, leicht erregbar wie die Lawine und der Sturm, der um die Firnen braust, gleicht der gewandte, heitere, lebenslustige und leidenschaftliche Bergbewohner mit seinen scharfgeschnittenen Zügen, hochgeschwungenen Brauen und sehnenkräftigen, schlanken Gliedmaßen ganz dem Landschaftsbilde, dessen Staffage er zu besorgen hat.
Langsam dagegen, wie der Lauf seiner Gewässer, nachhaltig, wie seine Wetter, treu und wechsellos wie der Character seines Heimathslandes, zeigt sich der bedächtige, sichergehende, leidenschaftslose und ruhig erwägende Bewohner des Flachgebietes mit seinen breitgezeichneten Gesichtszügen und fleischigen, robusten Körperformen.
Und wie der einzelne Mann, so auch das ganze Volk nach seiner Art, seinem Character und seiner Geschichte. Alle jene großen, weltgeschichtlichen Aufgaben, deren Lösung ein rasches, begeistertes, alle Hindernisse überschäumendes Handeln bedurfte, wurden von dem weisen Geschicke in die Hände von Völkern gelegt, welche, zwischen himmelanstrebenden Bergen geboren, sich kataraktähnlich von ihren Höhen herabstürzten, um durch diese Bewegung den Erdkreis mit der Macht einer lebensvollen Idee zu überfluthen. Und galt es einem Gedanken, dessen Ausführung einer steten, durch Jahrhunderte gehenden und unverrückten Entwickelung bedurfte, so wurde seine Lösung in das Wappen derjenigen Völker gegraben, welche in Folge der physikalischen Beschaffenheit ihres heimischen Bodens die dazu nöthige aushaltende Kraft besaßen.
Treffend, wenn auch nicht gerade geistreich, wird dieser Unterschied zwischen den Bewohnern des Gebirges und Flachlandes durch das mongolische Sprüchwort
»Hue man tschan, ku man tschueng,«
(Ochsen im Osten, Pferde im Westen)
bezeichnet, welches den Völkerschaften des tieferliegenden Ostens die Eigenschaften des bekannten starknackigen und mit nachhaltiger Kraft begabten Zugthieres beilegt, die des höherliegenden Westens aber mit dem feurigen, muthigen Rosse vergleicht, dessen edle Natur sich auch am besten zu edlen Diensten eignet.
Wie der wilde und verderbliche Schneesturm, welcher über die Hochländer zwischen Altai und Himalaya wüthet, so haben sich die dort wohnenden Horden zu mehreren Malen hernieder auf die anliegenden Gebiete gestürzt und ihre gewaltigen Wogen bis in die Mitte des fernen Europa gerollt. Mit eisernem Fleiße und nie ermüdender Kraft haben die Bewohner der Nordseeländer dem Meere eine Eroberung nach der anderen abgerungen, und wie der kleine, flinke Asiate unendlich verschieden ist von dem breiten, bedächtigen und langsamen »Neederländer,« so herrscht eine ebensolche Verschiedenheit auch in Beziehung auf ihre geographischen, geschichtlichen und alle übrigen Verhältnisse. Man vergleiche nur die ambulanten Filzzelte des Ersteren und die mit riesigen Kosten und auf ungeheuren Pfahlrosten erbauten Wohnungen des Letzteren, oder das leichte, kleinhufige und schwachknochige Roß des Erstgenannten und die großen, starkknochigen und breithufigen brabanter und flandrischen Pferde, welche die ungeheuersten Lasten ziehen und seiner Zeit die Kanonen Napoleons I. von einem Schlachtfelde zum anderen schleppten.
Der Einfluß der Gebirge auf die Psychologie der Völker ist ein so bedeutender, daß er Jedermann bald in die Augen fallen muß. Während die Ebenen, sobald sie nicht zu verderbendrohenden Wüsten werden, eine gegenseitige Berührung ungemein erleichtern und das Meer geradezu »länderverbindend« genannt wird, setzen die Gebirgszüge dieser Berührung um so bedeutendere Hindernisse entgegen, je höher und schwieriger zu übersteigen sie sind. Deshalb ziehen sich die Berge oft wie eine Mauer zwischen die einzelnen Völkerschaften hindurch, deren gegenseitiger Verkehr von der Zahl und Passirbarkeit der über das Gebirge führenden Pässe abhängig ist.
Als Beispiel seien nur angeführt die Alpen, welche zwischen Germanen und Romanen eine trennende Scheidewand bilden, und das Erzgebirge, an dessen Nordseite die protestantischen Sachsen und an dessen südlichem Abhange die katholischen Böhmen wohnen. Sind geringe Bestandtheile der einen oder anderen Art herüber oder hinüber gekommen, so geschah es eben nur auf dem einzigen Wege, welchen die Pässe bieten. Freilich hat in neuerer Zeit die Alles nivellirende Eisenbahn auch hier große Veränderungen hervorgebracht.
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