Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Gebirgsübergänge durch zahlreiche Truppenkörper, wie sie z.B. Hannibal, die Cimbern und Teutonen, der Inca Yupanqui und Napoleon unternahmen, gehören schon seit längerer Zeit nicht mehr zu den kühnsten Wagestücken, von denen die Welt mit bewundernder Anerkennung spricht; denn das Dampfroß, welches fast jede Höhe überwindet, sich durch die Berge bohrt und über Schluchten und Abgründe dahinstürmt, trägt auf seinem ehernen Nacken den Sieg über die zum Himmel ragenden Giganten, denen sich der schwache Menschensohn Jahrtausende hindurch nur mit ängstlicher Vorsicht nahen durfte.
Die durch die Macht des Dampfes bedrohte Bedeutung der Gebirge in kriegerischer Beziehung hat sich von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart herein bewährt. Sie bilden Befestigungen, welche dem Feinde entgegenstarren und dem stärksten Geschosse Trotz zu bieten vermögen. Die Heere, welche sich unter tausenderlei Beschwerden und Gefahren langsam und schlangengleich durch die engen Thäler und Schluchten zu winden haben, können sich nicht entfalten, müssen Schritt um Schritt mit theuerm Blute erkämpfen und sehen sich einer vielleicht verschwindend kleinen Anzahl von Feinden preisgegeben, welche jede Krümmung des Weges in eine Barricade, jeden Baumstamm in ein Bollwerk, jeden Felsen in ein Fort und jeden Berg in eine Festung verwandeln.
Schon die heilige Schrift erzählt von den Schwierigkeiten, welche den Juden die Unterjochung der Bergvölker Canaans bot; der einzige Engpaß der Thermopylen genügte den wenigen Spartanern, das ungeheure Heer der Perser aufzuhalten; die größten Feldherren des Alterthumes haben es nicht vermocht, Bergvölker vollständig und auf die Dauer zu besiegen, welche ihnen eine verhältnißmäßig nur geringe Kopfzahl entgegenstellen konnten; Hunderte von Jahren hat das mächtige Rußland resultatlos vor den Bergen des Kaukasus gestanden; die mächtigsten Fürsten Oesterreichs vermochten Nichts gegen die urkräftigen Söhne des Schweizerlandes; die Männer von Tyrol durften es wagen, ihre Stutzen gegen die Schaaren des Franzosenkaisers zu richten, und noch heute trotzt das kleine Montenegro auf die festen Positionen, welche ihm die Natur zur Verfügung gestellt hat.
Daher sind von jeher die Ebenen der Schauplatz berühmter Waffenthaten gewesen, und es giebt Gegenden, welche sich so sehr zu Schlachtfeldern eignen, daß auf ihnen zu verschiedenen Zeiten die entscheidendsten Kämpfe stattgefunden und sie in Folge dessen eine strategische Berühmtheit erlangt haben.
Wie den kriegerischen Bewegungen, so bietet die Ebene auch den friedlichen Evolutionen, den Bemühungen der Industrie, der Gewerbe, des Handels und Verkehrs ein freies und fruchtbringendes Feld.
Der Ackerbau als Grundlage des wirthschaftlichen Wohlstandes findet hier die weiteste und ungehindertste Verbreitung, während die Höhe sich sowohl dem thierischen als auch pflanzlichen Leben desto feindseliger zeigt, je bedeutender sie ist. Auch die Industrie vermag nur bis zu einem gewissen Punkte bergan zu steigen und nimmt ihre Verbreitung am liebsten thalabwärts, dem Laufe der Flüsse entlang. Der Verkehr verwundet sich seine breitschlagenden Schwingen an den engzusammengerückten Felsen der Gebirge und fliegt deshalb gern hinaus in das weite, offene Land, um sich im Sonnenglanz zu wiegen und sein bewegtes Bild in der Fluth des Oceanes zu spiegeln.
Desto lieber aber verweilen die Götter der Unterwelt in den zu Stein erstarrten Felsenwogen der Erdrinde, um da Schätze aufzustapeln, deren Hebung nur dem gelingt, welcher einen Kampf mit den Gewalten der Finsterniß nicht scheut. Da unten herrscht der bärtige König des Gebirges über jene geheimnißvollen Wesen, mit denen die kindliche Phantasie des Menschen die dunklen Gänge des Erdinnern bevölkert hat, weil der denkende Geist keine Erstarrung, keine Ruhe, keinen Tod kennt und er in der Ahnung, daß der Puls der großen, unendlichen Bewegung selbst in Felsen klopfe, der Einbildung erlaubt, diesen Felsen mit phantastischem Leben auszustatten.
Klopft der größte der irdischen Geister, der des Menschen, an dieses Reich der Gnomen, so muß es sich seinem Befehle öffnen, und dem dunklen Munde des Schachtes entfließen dann jene Reichthümer, deren Gewinnung die Grundlage aller Arbeit und allen Wohlstandes bildet. So spenden also auch hier, wie in ihren Wasserbächen, die Berge ihre segensreichen Gaben und liefern aus ihren finsteren Tiefen die Grundsteine zu dem Baue menschlicher
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