Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
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– – Welche Absicht nun ist es gewesen, die jene weiten Ebenen gedehnt, die Berge zum Himmel gestreckt und die Thalfurchen durch den Boden gezogen hat?
Kühn und getrost können wir behaupten, daß ohne diese Abwechselung in der Bodengestaltung die Erde kein höheres, kein geistiges Leben zu beherbergen vermöchte, sondern eine Kugel bildete, deren Oberfläche aus weiten Wasser- und öden, unfruchtbaren und unbelebten Länderwüsten bestände.
Wäre unser Planet eine vollständig abgeglättete Kugel, so würde die Luftbewegung, welche ihre Umdrehung verursacht, als ungebrochener, wilder und ewiger Orkan über Land und Wasser sausen und jeden Keim vegetabilischer und animalischer Entwickelung schon im ersten Stadium seiner Entfaltung tödten und nur in den düsteren Tiefen der See, in welche der Sturm nicht zu dringen vermag, wäre ein Leben denkbar.
Die Unebenheit des Bodens ist die erste Grundbedingung zur Entstehung von Quellen, Bächen, Flüssen und Strömen, überhaupt jeder Art von Wasserlauf. Welchen Segen aber die Wanderschaft des feuchten Elementes von dem Gipfel des Gebirges herab bis hinunter in das gewaltige Becken des Oceans nach sich bringt, werden wir später ausführlich erörtern. Auf ihn müßte die Erde verzichten und würde aller Daseinsformen entbehren, deren Bestehen von ihm abhängig gemacht ist.
Wohl kaum ist es schon mit genugsamem Nachdrucke hervorgehoben worden, welchen Factor die Gebirge in Beziehung auf die Wärmeverbreitung bilden, indem sie bei der außerordentlichen Geschwindigkeit der Axendrehung der Erde wie die Radschaufeln eines Dampfers in die den Aequator umlagernde Hitze schlagen und diese Letztere nach den Polen hin in Bewegung setzen.
Mit derselben kräftigen Stetigkeit greifen sie in die Richtung der von Osten nach Westen gehenden Luftströmung ein und ermöglichen so die segensreiche Mannigfaltigkeit der atmosphärischen Bewegungen.
Und wie in Beziehung auf die Reiche der Natur, so ist die Bodengestaltung auch von weitgehendem Einflusse auf die Entwickelung des Menschen und seines Geschlechtes.
Wie die Berge den Thau des Aethers trinken, um ihn in sich immer mehr vergrößernden Rinnen der Tiefe zuzuführen, so sind die Völker der Erde von den Höhen der Gebirge herabgestiegen, und die glanzvollsten Erscheinungen und Thatsachen der Geschichte haben ihre Heimath nicht unten im Thale, sondern dort gefunden, wohin der Blick des Dichters sich richtet:
»Sieh’, mein Aug’, nach Zions Bergen,
Ach, sieh’ unverwandt hinauf;
Denn von den geliebten Bergen
Geht mein Heil mir auf!«
Die Wiege des Menschengeschlechtes, an welche der fromme Glaube die Gestaltungen eines Paradieses knüpft, lag dem Himmel um Vieles näher als die Fluth des Meeres, und durch die Pforten zu den hinterasiatischen Höhenländern ergoß sich das Volk der Menschenkinder hernieder auf die Ebenen, um am Thurme zu Babel zur Erkenntniß ihrer Aufgabe: »Füllet die Erde und machet sie Euch unterthan« zu gelangen.
Der Berg Ararat war es, auf welchem Noah als Alleinbegnadigter festen Fuß faßte, nachdem die Fenster des Himmels und die Schleußen der Erde sich geschlossen hatten; auf dem Berge Sinai offenbarte Jehova Sabaoth seinen heiligen Willen; eine Höhle des Gebirges Pisga bildet das geheimnißvolle Grab Mosis, des größten Lenkers Israels; ebendaselbst, auf dem Berge Horeb ging der Herr in einem sanften Säuseln vor Elias, dem Propheten, vorüber; auf Morijah stand der berühmteste der Gottestempel; in Galiläa, dem Gebirgslande, wurde Christus geboren; die erste seiner Predigten erscholl von einem Berge; auf einem Berge wurde er verklärt; auf einem Berge schlug man ihn an das Kreuz, und von einem Berge ward er aufgehoben »zusehends« in die Wolken, wie die Apostelgeschichte erzählt.
Nicht blos die biblische Anbetungsform ist es, welche die wichtigsten und besten ihrer Erzählungen, Legenden und Prophezeihungen an die Namen von Bergen knüpft, sondern die heiligen Sagen jeder anderen Religion thun dasselbe, und ebenso wie die Anschauungen der heiligen Schrift, knüpfen sie an das Wort »Thal« die Vorstellung des Gegentheiles von Glück und Seligkeit.
Es ist eine längst bewiesene Wahrheit, daß der Mensch nach der Entwickelung seines äußern und innern Wesens abhängig ist von dem Boden, auf welchem er lebt und mit dem er um die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu ringen hat. Daraus folgt nothwendig eine körperliche und geistige Verschiedenheit zwischen dem Gebirgs-
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