Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
»Volk« mehr auf die Menge der in ihm enthaltenen Bestandtheile. In Folge der Ungleichheit der individuellen Anlagen und der Geneigtheit der Menge, sich stärkeren Naturen unterzuordnen, treten inmitten der Nation einzelne mit überlegener Kraft Begabte hervor, um die Schwäche der Anderen zur ihrem Nutzen und für das Interesse ihrer Familie, ihrer Nachkommen auszubeuten. Es gruppirt sich in Folge dessen eine Vielheit um den einzelnen Hervorragenden, und es entsteht durch die Abzweigung von der Nation – ein Volk.
Nach der umfassenden Bekanntschaft, welche in neuerer Zeit die Menschen in ihrem gleichzeitigen Zusammenleben mit einander gemacht haben, stellen sie sich trotz aller Abzweigung doch durchaus als eine Gesammtheit dar. Ueberall, wo jetzt Menschen zu einander gelangen und wo der von ihnen betretene Boden nur nicht allzu dürftig und unfruchtbar ist, finden oder bilden sich Völker, deren Einheitsprincip in einer Staatsverfassung besteht, in welcher Einzelne herrschen, während die Menge gehorcht.
Diese sämmtlichen Vereine haben Beziehungen zu einander, wo nicht durch Verträge und Repräsentationen, so doch wenigstens direct oder indirect auf andere Weise, durch den Handel, die Wissenschaft etc. Diese allgemeine Beziehung führt auch den Begriff »Völkerleben«, in dem das Menschengeschlecht nicht nur durch Uebereinstimmung der Naturformen, sondern auch durch ein äußeres Band ein großes Ganzes bildet.
Wenn wir oben sagten, daß der Grundgedanke eines jeden Staates ein fester, geordneter Rechtszustand ist, so ist der Zweck dieses auf den Gesammtwillen, dem sich der Einzelwille unterordnen muß, beruhenden Rechtszustandes, also der Staatszweck, die Sicherheit der Person, des Eigenthums, der Bildungs-und Entwickelungsfreiheit. Ohne Staat würde die Willkür und Gewalt des Einen den Andern an dem Gebrauche seiner Rechte hindern, und aus diesem Grunde ist der Staat vernünftig und sittlich nothwendig. Er findet sich am frühesten bei Ackerbau und Viehzucht treibenden Völkern.
Betrachtet man aber die Entstehung des Staates von der rechtlichen und idealen Seite, so legt man ihm den vernünftigen Gesammtwillen, einen Staats- oder Staatsgrundvertrag, als Grundlage unter, indem man annimmt, daß im Augenblicke des staatlichen Zusammentretens die Glieder desselben sich stillschweigend zu einer rechtlichen Ordnung unter gemeinschaftlicher Obergewalt vereinigt haben. Jenen Gesammtwillen, oder die ursprüngliche Machtvollkommenheit des Volkes nennt man Souverainetät, und in Folge dessen kann also auch von einer Volkssouverainetät die Rede sein. Diese aber so gedacht, als ob die Majestät im Volke liege und von demselben die höchste Regierungsgewalt ausgeübt werden könne, ist ein Unding. Irriger Weise aber wird oft unter Souverainetät der Inbegriff der Befugniß der Regierung verstanden. Von dieser muß jedoch angenommen werden, daß sie durch den Staatsgrundvertrag in die Hand des Regenten gelegt worden ist.
Die Art und Weise nun, nach welcher ein Staat eingerichtet worden ist, bestimmt die Staatsgrundformen oder Regierungsformen, und das Resultat derselben wird Staatsverfassung oder Staatsorganismus genannt. Die Form, unter welcher eine Regierung verwaltet wird, also die Regierungsform, kann sein: 1., monarchisch, wo die Regierung in den Händen nur Eines liegt; sie zerfällt in die erbliche und Wahl-Monarchie und ist entweder unumschränkt (absolut) oder constitutionell. 2., republikanisch, wo dann die Leitung in den Händen Mehrerer liegt; sie ist entweder aristokratisch oder demokratisch; die Ochlokratie, d.h. die Herrschaft des Pöbels, kann auf die Dauer nicht bestehen, indem das bessere Princip stets die Oberhand gewinnen muß.
Beruht die Staatsverfassung auf einem ausdrücklichen Gesetze oder Vertrage, so heißt dieses Gesetz oder dieser Vertrag Staatsgrundgesetz oder Staatsgesetz, obgleich man unter der letzteren Benennung oft auch das Gesetz überhaupt versteht. In jedem Staate findet man deshalb ein Staatsoberhaupt, eine Staatsverwaltung (Regierung) und die Unterthanen, das Volk (Regierte), obschon dadurch nicht etwa Gegensätze im Staate, sondern nur gewisse Beziehungen angedeutet werden sollen.
Das Staatsoberhaupt ist der Träger der gemeinschaftlichen Obergewalt oder Staatsgewalt, welche die Mittel zur Erreichung des Staatszweckes zu wählen hat und so den Gesammtwillen der Staatsgesellschaft verwirklicht. Zugleich vertritt dieses Oberhaupt den Staat nach Außen, gegenüber anderen
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