Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
besonders in den Proben der Standhaftigkeit zu übertreffen, womit sie die Beschwerlichkeiten der Witterung und Jahreszeiten ertrugen. Männer und Weiber machten aus Sommer Winter und umgekehrt. Im Sommer trugen sie die wärmsten Kleider, die dicksten Pelze und heizten ihre Zimmer. Im Winter hingegen hüllten sie sich in die dünnsten Gewänder, schliefen in den leichtesten Decken, bekränzten ihre Kamine mit Laubwerk und Blumen, und hielten es für eine Schande, bei der strengsten Kälte Feuer anmachen zu lassen, und sich daran zu wärmen.
Wenn ein Ordensbruder eine verheirathete Ordensschwester besuchte, so entfernte sich der Mann augenblicklich und kehrte nicht eher in sein Haus zurück, als bis der Ordensbruder wieder weggegangen war, woraus eine Gemeinschaft der Weiber entstand. Diese Schwärmer kamen vor Kälte um und starben in ihren Ordenspflichten als wahre Märtyrer der Liebe. Auf diese Art war bald die ganze Sekte verschwunden.
Die Aehnlichkeit dieser Feste mit den unzüchtigen Festen der Alten leuchtet ein. In dieser Kategorie gehört der sogenannte verliebte Hof, der gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts ebenfalls als Nachahmung der Liebeshöfe entstand und von Kammer- und Domherren, vornehmen Damen, Doctoren, Advokaten u.s.w. gebildet wurde.
An diesem verliebten Hofe redete man von nichts als von Tugenden, Eigenschaften und Liebenswürdigkeiten der Schönen. Ein Jeder hatte eine unumschränkte Gebieterin seines Herzens und seiner Gedanken. Diese erhob er in den übertriebensten Ausdrücken, wenn er sie auch nicht einmal gesehen, sondern nur von ihr gehört hatte; dieser widmete er sein Herz und seine Dienste; ihr schwur er ewige Treue; ihr klagte er seine unerträglichen Leiden. Und bei allen diesen platonischen Schwärmereien waren die Liebenden nie einander untreuer, und begehrten nie mit heftigeren Trieben nach dem physischen Genuß der Liebe, als zu eben dieser Zeit. Man begleitete diese mündlichen Betheuerungen mit unaufhörlichen Verbeugungen, Niederfallen auf die Kniee und selbst Niederwerfen zur Erde und schloß endlich diesen lächerlichen Pomp von Ceremonieen mit den albernsten Spielen.
Während man diesen lächerlichen Cultus trieb, erlaubten sich die Ritter die schmutzigsten Anspielungen und zweideutigsten Scherze. In den Gedichten der Troubadours wechselten die größten Unanständigkeiten mit den bigottesten Andächteleien ab und bildeten so einen lächerlichen Contrast zu den Lobeserhebungen und Schmeicheleien, mit welchen man das weibliche Geschlecht förmlich überschüttete.
Zur gerühmten Gastfreundschaft der damaligen Zeit gehörte es, daß die Ritter und Burgfrauen den bei ihnen einkehrenden Fremden ein hübsches Mädchen zum Beilager für die Nacht anboten, welches zu beschaffen nicht selten Gewaltmittel angewandt wurden. In den Kammerfrauen und Zofen ihrer rechtmäßigen Gemahlinnen erblickten die vornehmen Herren nichts weiter, als die Opfer ihrer sinnlichen Begierden, und die hübschesten Jungfrauen aus der Zahl ihrer Unterthanen fielen ihren unmäßigen Lüsten zum Opfer. Nie gingen sie auf die Jagd, ohne eine dieser gefälligen Schönen in ihrer Mitte zu haben, wenn sie nicht durch List und Tücke schon im Voraus dafür gesorgt hatten, daß sie in den einsamen Jagdschlössern irgend ein hübsches Mädchen vorfanden, welches von speichelleckerischen Dienern auf Bestellung an Ort und Stelle geschafft war, um der Ehre theilhaftig zu werden, von dem »gnädigen Herrn« entehrt zu werden.
Die in damaligen Zeit üblichen Turniere wurden mit Bällen und Schmausereien geschlossen, zu deren Schauplätzen man sich nicht schämte, die geheiligten Stätten der Klöster zu wählen, und wobei unter den schamlosesten Tänzen und bei wilder Schmauserei Jungfrauen entkränzt und nichtsahnende Ehemänner gekrönt wurden. Im wilden Taumel der aufgeregten Sinne wagten die tapferen Rittersleute das unmöglich Scheinende und die vornehmsten Damen waren die letzten, welche ihnen ihre Bitten um Erhörung abschlugen.
Zu Froissard’s Zeiten herrschte die sonderbare Sitte, daß man die Bräute vor der Vermählung auf das Genaueste besichtigte, um durch den Augenschein zu erfahren, ob die Jungfrau auch fruchtbar und ohne Gebrechen sein.
Wahrscheinlich war dies die Nachahmung einer griechischen Sitte; denn als die Gesandten des griechischen Kaisers um die Tochter des Grafen von Tripoli warben, erkundigten sie sich genau nach der Beschaffenheit der verborgenen Theile ihres
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