Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Dominikaner, welche sich als Beichtväter in jedem angesehenen Hause zu unentbehrlichen Hausfreunden zu machen wußten, führten Dinge aus, die uns unbegreiflich scheinen.
So wohnten sie beispielsweise den angeordneten Züchtigungen in Klöstern bei, in welche man widerspenstige oder leichtsinnige Frauen und verliebte Mädchen einzusperren pflegte, und zwar, auf einen vorher erhaltenen Wink, entweder sichtbar oder versteckt. Bei Damen, die besonders hübsch waren, leiteten sie die Execution selbst. Mit den Nonnen wußten sie sich stets auf guten Fuß zu setzen, sodaß sie von diesen nicht verrathen wurden; die betreffenden Mädchen und Frauen aber hüteten sich nach ihrer Befreiung wohl, der Welt ihre Demüthigung mitzutheilen.
Emancipation
Seit jenem großen Augenblicke, an welchem die ewige, freie Liebe vom Himmel herab zur Erde stieg, um den Erdensohn empor zum Lichte zu führen, hat sie ihrer Freiheit sich begeben müssen und wie dürfen nur von einer »Liebe in Ketten und Banden« sprechen. Welches diese Ketten, diese Banden sind, ist nicht schwer einzusehen, und wir unternehmen es daher auch nicht, besonders darauf hinzuweisen. Aber bekennen müssen wir, daß die stärkste dieser Ketten keine andere ist, als die Religion.
Lassen wir alle früheren und außergewöhnlichen Religionsformen unbeachtet und suchen wir für jetzt nur einmal zu erläutern, in welchem Verhältnisse unsere »Religion der Liebe« mit der wirklichen und echten Liebe denn eigentlich stehe?
Als Christus nach dem Wege zur Seligkeit gefragt wurde, lautete seine Antwort: »Du sollst lieben Gott von ganzen Herzen, von ganzer Seele und mit allen deinen Kräften«, das ist das vornehmste und größte Gebot das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen zweien Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten!« In dieser Antwort giebt er die beiden Grundpfeiler, auf welche er seine Lehre baute. Sie hätten bei behalten werden müssen, um zu einer Religion zu führen, welche mit Recht den Namen Christi hätte tragen können. Der Grundpfeiler unserer gegenwärtigen christlichen Religion aber ist:
»Jesus Christus, gestern und heut
Und derselbe in Ewigkeit!«
Man hat die Lehre mit dem Lehrer, die Sache mit der Person, die Idee mit ihrem Träger verwechselt und einen Cultus geschaffen, welcher gegen das göttliche Gebot sündigt: »Du sollst dir kein Gleichniß machen, weder das, das droben im Himmel, noch das, das unten auf Erden und unter dem Wasser ist. Bete sie nicht an und diene ihnen nicht, denn ich, der Herr dein Gott, bin ein starker, eifriger Gott, der die Sünden der Väter heimsuchet an den Kindern bis in das tausendste Glied?« Und unter diesen Verwechselung hat Niemand und Nichts mehr leiden müssen, als die Liebe, welche zu einer Eigenschaft gemacht wurde, die man nach Belieben graduiren kann.
Wohl kaum ist jemals gegen die Liebe so viel gesündigt worden, wie unter dem Deckmantel der Religion. Die Priester, von denen der Prophet sagt: »Wie lieblich sind die Füße der Boten, die da Gutes predigen, die das Heil verkündigen,« sind mit ehernen Füßen zermalmend über das Glück und Wohl ganzer Nationen hinweggeschritten, oder haben, im Dunkel verborgen, mit jesuitischen Wühlereien dasselbe stetig und sicher untergraben. Und noch sind diese Zeiten nicht vorüber, noch heut lauert die Frömmigkeit hinter ihren mißverstandenen oder mißgedeuteten Bibelversen, um die Spinnenarme um die vertrauende Seele zu schlagen, die sich ihr naht. Noch heute geht sie mit der Politik Hand in Hand, um der Eroberungssucht als willkommenster Deckmantel zu dienen.
Und dies bringt uns zu der Bemerkung, daß neben der Religion es vorzugsweise die Politik, die mit dem Ihrigen unzufriedene und deshalb nach Annection strebende Staatskunst ist, welche gegen die Liebe gefehlt hat. Die Sache ist zu traurig und zu allgemein bekannt, als daß wir näher auf sie eingehen möchten, und wir sehen es daher mit hoher Fremde, daß sich seit einiger Zeit eine nicht genug anzuerkennende Aenderung in dieser Beziehung vollzogen hat. Man betrachtet die Liebe nicht mehr von einem particularen, einseitigen, sondern von dem allgemeinen Standpunkte, welcher der allein richtige ist. Von ihm aus betrachtet hat ein jeder Mensch, sei er Christ oder Heide, Jude oder Muhamedaner, Kaukasier oder Mongole, Amerikaner oder Neger, ein gleich großes Recht auf die Liebe, welche Alle umfaßt und in ihrer irdischen, in
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