Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Kinder
Mit feurigen Armen zum Himmel empor!«
Also fort mit allen Ketten und Banden, welche die lautere, reine, unverfälschte und vom Himmel stammende Liebe auf Erden umschlingen, fort mit allem Egoismus, aller Selbstgerechtigkeit, mit allem, was des Nächsten Glück trüben, was ihm Leid und Schmerz bereiten kann! Es giebt keine christliche Liebe, wie es auch keine heidnische, keine jüdische, keine muhamedanische giebt; es giebt nur eine Liebe, welche Alle umschlingt, nur eine Liebe, welche nicht nach Stammbaum und Verdiensten fragt, sondern Jeden umfaßt und an sich zieht, welcher den Namen Mensch trägt: die Humanität. Und sie ist es, welche uns in das nächste Kapitel begleiten soll, in welchem wir erkennen werden, wie nöthig sie ist, diese schonende Milde, diese ergreifende Barmherzigkeit des menschlichen Herzens!
In Staub und Schmutz
Wenn wir bei unseren bisherigen Betrachtungen unser Augenmerk vorzugsweise auch auf diejenige Liebe richten mußten, welche den körperlichen Genuß zum Gegenstande eines Preises machte, und dabei die Prostitution von ihren Anfängen bis herein in die neuere Zeit verfolgten, so stehen wir jetzt vor der Frage, wie die Verhältnisse derselben in der Gegenwart gestellt seien.
Werfen wir zunächst einen Blick nach Paris, der Metropole der » grande nation «.
Daß in einer Stadt wie Paris, wo die Mitglieder aller Nationen zusammenströmen, das Laster der Prostitution in ausgedehntestem Maaße gehegt und gepflegt wird, steht nach dem oben Gesagten wohl außer Zweifel.
Hier, wo sich Alles zum Zwecke des Genusses vereinigt, wo Klima und Verhältnisse mehr als anderswo zum Genusse der Liebe einladen, finden die Priesterinnen der Venus ein so ergiebiges Feld für ihre Thätigkeit, daß sie stets ihre Rechnung dabei finden, noch dazu, als ihnen von der Natur alle diejenigen Gaben im reichsten Maaße verliehen sind, welche sie für den gewählten Lebensberuf fähig machen.
Die Zahl der prostituirten Dirnen in Paris ist eine ungeheure und der Verwaltungszweig der Polizei, der sich mit ihrer Beaufsichtigung beschäftigt, ein sehr ausgedehnter.
Wie in allen anderen Städten, so theilen sich die prostituirten Frauenzimmer auch hier in verschiedene Klassen, die sich in den Augen des Kenners durch charakteristische Merkmale von einander unterscheiden.
Die erste Klasse sind die verheiratheten Damen von hohem, mittlerem und niederem Stande, die sich aus Eigennuß oder Ehrgeiz mit hochgestellten Personen einlassen, oder einen Freund vom Hause bei der Hand haben, der die Kosten der Bestreitung ihres Luxus, ihres Aufwandes und ihrer Launen hergiebt, und den sie durch Gefälligkeiten bezahlen. Ihre Ausschweifungen werden von den Ehemännern geduldet, weil sie entnervt sind oder ihnen ein Recht zu gleichen Freiheiten geben, oder weil sie niederträchtig genug sind, die Beute mit ihren Weibern zu theilen. Einige dieser Damen wissen sich einen gewissen Credit zu verschaffen, den sie gewöhnlich an Leute verkaufen, die niedrig genug sind, sich an sie zu wenden, um irgend eine Gnade zu erhalten.
Zur zweiten Klasse zählen diejenigen, welche die Wollust noch nicht zu einem Gewerbe machen, sondern nur Besuche von sehr vornehmen und reichen Herren annehmen. Diese Gattung füllt gewöhnlich das Theater und besonders die Oper aus ihrer Mitte. Ihre Gunstbezeugungen haben verschiedene Taxen.
Diejenigen, welche blos von dem Erwerbe ihrer Buhlereien und zwar auf einem glänzenden Fuße leben, machen die dritte Klasse aus. Ein solches Mädchen bewohnt gewöhnlich ein Logis von drei, vier bis fünf Zimmern. Sie nimmt eine häßliche Freundin oder eine Matrone zu sich, die von ihrer Gnade leben, sie auf die Promenade begleiten und ihre Haushaltung besorgen. Sie hält sich eine Magd, einen oder zwei Bediente und einen Jockey, der meist ein junger Neger ist. In den geringeren Theatern läßt sie sich selten sehen, sondern meistens in der Oper, im Theater français u.s.w., wohin sie in einer Miethsequipage fährt, die sie auch wieder abholt. Ihre Zimmer find prächtig und neu. Das Ganze kostet ihr jährlich etwa 12,000 Thaler, die sie sich durch den Wucher mit ihren Reizen verdienen muß.
Die Art und Weise, auf welche sie es thut, ist verschieden. Gewöhnlich aber einigt sie sich mit ihrem Liebhaber über den Preis, den er für den Genuß ihrer Liebe zu zahlen hat. Dieser variirt zwischen einem und sechs Louisd’or, je nachdem man gewöhnliche oder ungewöhnliche Gefälligkeiten von ihr
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