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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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selbst bestätigt hat.
    So führt jede wirkliche, jede wahre, jede edle Kunst ganz unbedingt empor zum Welterlöser, und man braucht keineswegs Theolog oder gar Priester zu sein – denn auch ich bin ja nur Laie – um jede Kunst, die andere Wege geht, als irrend zu bezeichnen.
    Dies, mein sehr geehrter Herr Redakteur, meine kurze Antwort auf Ihre Frage. Für Sie und Ihren »Kunstfreund« habe ich stets und gern ein offenherziges Wort.
    Briefe über Kunst
     
    II.
     
    Sehr geehrter Herr Redakteur!
     
    Man sagt mir, daß die nächste Nummer Ihres »Kunstfreund« zugleich die Weihnachtsnummer sein werde. Das gibt mir für Sie wieder die Feder in die Hand. Denn »Kunst« und »Weihnacht« stehen eng beisammen. Daß ich das nicht äußerlich oder gar geschäftlich meine, das werden Sie mir glauben. Ich meine den innern Zusammenhang, den ich schon in meiner vorigen Zuschrift berührte. Ich sagte da, daß jede wahre Kunst zum Welterlöser emporführe. Sie wird zum Wege nach dem eigentlichen, dem seelischen, dem geistigen Bethlehem.
    Ich denke also nicht daran, daß die Produkte gewisser Künste oder Kunstgewerbe als Weihnachtsgaben verwendet werden, sondern ich möchte den Blick Ihrer Leser auf Höheres und zugleich auf Tieferes richten. Nämlich darauf, daß die wirkliche, die heilige Kunst Alles, was sie behandelt, nicht als geschehen, sondern als geschehend darzustellen hat. Nur das ist Kunst, was Vergangenes in Gegenwärtiges verwan delt, um es uns begreiflich, vertraut und lieb und wert zu machen. Dieser Punkt ist wichtiger, als man wohl denken mag, denn nur auf ihm beruht die ebenso hohe wie segensreiche Stellung, welche der Kunst in Beziehung auf den Glauben und andererseits auf die Wissenschaft gebührt. Ihre Aufgabe ist, zwischen Beiden zu vermitteln, oder, anders ausgedrückt, die Kunst ist berufen, unser irdisches Wissen zum himmlischen Glauben emporzuführen.
    Nur der »Kunst des Vergegenwärtigens« ist es möglich, dieser hochwichtigen Aufgabe gerecht zu werden. Um uns dies klar zu machen, können wir getrost beim »Weihnachtsfest« und beim »Erlöser« bleiben. Die edle, die aristokratische Kunst führt ja zu diesen Beiden hin, niemals aber von ihnen hinweg. Von der Wissenschaft, nicht nur von der geschichtlichen, sondern auch von der theologischen, wird Christus vorzugsweise als der zur Zeit des Kaisers Augustus in Palästina geborene Messias betrachtet. Das ist Vergangenheit. Vom Glauben wird er als der Sohn Gottes verehrt, durch dessen Vermittelung beim Vater wir das ewige Leben und die Seligkeit erlangen. Das ist Zukunft. Von der Kunst wird sowohl der geschichtliche als auch der einst wiederkehrende Christus in wirkungsvoller Erscheinung oder Handlung dargestellt. Das ist Gegenwart.
    Aber freilich, wie im gewöhnlichen Leben Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ohne bemerkbare Scheidestriche ineinander überfließen, so gibt es auch im höheren, im geistigen Dasein zwischen Glauben, Kunst und Wissenschaft keine scharf trennenden Barrièren, und es kann somit die Kunst zu gewisser Zeit entweder dem Glauben oder der Wissenschaft einmal nähertreten, als diese Zeit wohl eigentlich verlangt. Ganz selbstverständlich hat jede solche Annäherung nach der einen Seite eine Entfremdung auf der andern zur Folge, doch ist allen hierdurch entstehenden Perioden oder Richtungen stets das Bestreben eigen, das Niedrige zum Höheren emporzuheben, das Diesseits in das Jenseits überzuleiten und auf diese Weise die Wissenschaft mit dem Glauben auszusöhnen. Der wahre Künstler weiß oder fühlt dies ganz genau, der Laie vielleicht nicht.
    Wie aus meinem vorigen Briefe ersichtlich, hat die Kunst in das innere Wesen ihres Gegenstandes einzudringen, um es dann harmonisch mit dem Aeußern darzustellen. Sie tut dies im allerhöchsten Grad auch dann, wenn sie Weihnacht feiert. Sie schaut das Kind von Bethlehem, den Lehrenden, den Leidenden, den Sterbenden, den Auferstandenen und Aufgefahrenen, sogar den Wiederkommenden am großen, jüngsten Tage. Das ist das Aeußere. Wer dieses darstellt, ohne tiefer gegangen zu sein, der ist vielleicht ein Maler, ein Bildhauer oder ein Dichter, niemals aber ein Künstler. Von diesem wird mehr verlangt als nur das Eingehen auf das Sinnliche. Es kommt mir da ein Gedicht zu Hülfe, welches ich vor Jahren schrieb. Ich ließ es nie drucken, hier aber mag es stehen, um zur Erläuterung zu dienen:

Der Dorf-Bildschnitzer.
     
    Hab’ all mein Lebtag stets gedacht,
    Daß man aus Holz die Heilands

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