Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
und er kann, ohne jemals widerrechtlich nachgedruckt zu werden, zwischen seinen vier Wänden und im Kreise seiner heimlichen Bewunderer so oft, als es ihm beliebt, in ihren Schönheiten schwelgen; sie dürfen ihm so lieb und so kostbar sein und bleiben wie eine Sammlung von Diamanten, die man nie verkauft. Schon weniger glücklich ist der Autor, welchem die Fatalität begegnet, ein oder einige Male gedruckt zu werden. Er ist dem Löwen der Öffentlichkeit in die unerbittlichen Pranken geraten, wird von ihm hin- und hergeworfen und hat von Augenblick zu Augenblick den entsetzlichen Biß zu erwarten, der ihm den Garaus macht. Das Honorar ist nur die Lockspeise gewesen, welche ihn in eine Lage brachte, der er nur durch die nunmehrige größte schriftstellerische Enthaltsamkeit entrinnen kann. Von einem vertraulichen, behaglichen, häuslich verborgenen Genusse seiner Geistesfrüchte kann keine Rede sein! Und nun erst derjenige unglückliche Litterat, den der obenerwähnte, p.t. Löwe so fest hält, daß er nicht wieder loskommen kann! Er ist einem so beklagenswerten Geschick verfallen, daß jedes nur einigermaßen mitleidige Menschenkind ihm – – doch, wozu die Einleitung so lang machen! Ich gehöre ja leider selbst zu dieser Klasse von Duldern, und wenn ich von meinen Leiden erzähle, die von einigen seltenen Lichtblitzen nur um so stärker hervorgehoben werden, so werden damit die Qualen meiner Berufsgenossen auch beschrieben und ich brauche sie also gar nicht eingangsweise aufzuzählen.
Der Autor soll vor allen Dingen logisch sein, und da es keine größere Logik als diejenige der Thatsachen gibt, so lasse ich die Thatsachen sprechen, indem ich zunächst einen Tag, einen einzigen Tag der jetzt vergangenen Woche schildere.
Es ist Dienstag früh punkt sieben. Ich werde um Manuskript gedrängt, habe seit gestern Nachmittag drei Uhr, also sechzehn Stunden lang, am Schreibtische gesessen und kann, auch wenn ich nicht gestört werde, vor abends acht Uhr nicht fertig werden. Die Nacht, oft zwei, drei Nächte hintereinander, ohne dann am Tage schlafen zu können, ist überhaupt meine Arbeitszeit, der vielen Besuche wegen, welche täglich kommen, um »ihren« Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi Effendi persönlich kennen zu lernen. Es klingelt unten am Eingange, und trotz der frühen Stunde wird mir ein Gymnasiast gemeldet, welcher so zeitig aus Dresden gekommen ist, um mich sicher anzutreffen. Beim Eintritte in die Studierstube erblickt er den mächtigen »Abu er Rad« im Hintergrunde, läßt vor Schreck die Thür offen stehen, macht dann einen Sprung vorwärts und stürzt mit dem Rufe »Dunner unds Messer, das ist ja ein Löwe, ein richtiger, wirklicher Löwe!« auf das von mir in Afrika geschossene Raubtier zu, wobei er aber an dem Kopfe des Grizzlybären hängen bleibt. »Allerdings,« antworte ich lächelnd. Das macht ihn darauf aufmerksam, daß ich auch da bin, und er wendet sich mir mit einer Verbeugung aus der Obersekunda zu, um mir den Zweck seines Besuches zu erklären. Er will sich nämlich folgendes von mir erbitten: eine Locke von Winnetou, einen Revolver, weil ich doch so viele hier hängen habe, ein Straußenei und nur ein Viertelpfund von dem echten Dschebelitabak, den ich in meinen Werken so gepriesen habe. Ich erlaube ihm, sich einen Tschibuk mit Dschebeli zu stopfen, und während er, auf dem Divan sitzend, ihn mit der Miene eines Pascha von zwanzig Roßschweifen raucht, versuche ich, weiter zu schreiben, komme aber vor den hundert Fragen, die ich ihm beantworten muß, nicht dazu. Zu meiner Freude bittet er mich, meinen Garten und besonders »das künstliche Gebirge« mit dem chinesischen Pavillon ansehen zu dürfen. Ich gestatte es; er geht mit einer rätselhaften Verneigung zur noch immer offenen Thür hinaus, wirft sie mit Riesenkraft ins Schloß, und ich kann endlich wieder schreiben.
Es klingelt abermals. Man bringt mir eine Depesche folgenden Inhaltes: »Heute mittag zwölf Uhr Hotel Europäischer Hof, Dresden – – Herbig.« Weil das Telegramm aus Leipzig kommt und mein dortiger Commissioner Herbig heißt, nehme ich mir vor, nach Dresden zu fahren, obgleich es mich befremdet, daß dieser Herr, anstatt zu mir nach Radebeul zu kommen, mir meine kostbare Zeit verkürzt.
Acht Uhr! Die erste Post wird abgegeben; dreißig Briefe von Lesern, darunter vier mit zusammen achtzig Pfennigen Strafporto, ein fast tägliches Vorkommnis; ferner drei Pakete und eine Kiste. Die Pakete enthalten Manuskripte
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