Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
wollen Sie? Da, geben Sie her!«
Er legt seine noch immer ausgestreckte Rechte in die meinige. Ich will sie ihm zur Strafe kräftig drücken, habe aber meine Finger noch nicht fest zusammengeschlossen, da brüllt er:
»O weh, o weh! Halten Sie ein; lassen Sie mich los! Sie sind nicht gescheit!«
Die Anwesenden sind bei seinem Schmerzensschrei alle aufgesprungen; er hält die Rechte mit der Linken und hüpft von einem Beine auf das andere. Ich bezahle den Wein und gehe, mit mir selbst unzufrieden, daß ich ihm die Hand nicht fester gedrückt habe, er hätte da für einige Zeit das Schreiben von Depeschen, und nicht nur dies allein, lassen müssen!
Es ist gegen zwei Uhr, als ich wieder nach Hause komme. Die Dame in Trauer sitzt im Salon; sie will mich partout sprechen und hat sich durch nichts bewegen lassen, fortzugehen, selbst nicht durch die Erklärung meiner Frau, daß sie in der Küche beschäftigt sei und sie allein lassen müsse. Halb erstaunt und halb zornig über eine solche Beharrlichkeit, begebe ich mich zu der Wartenden. Sie erkennt mich und macht mir Vorwürfe, daß ich ihr nicht gesagt habe, wer ich bin; ihre Angelegenheit sei so wichtig, daß ich sicher nicht nach Dresden, sondern mit ihr zu mir zurückgegangen wäre. Dann fährt sie fort:
»Mein Mann war Grenzaufseher und nebenbei ein hochbegabter Kunstmaler. In seiner letzten, langwierigen Krankheit schenkten Sie ihm infolge einer Bitte unsers Pfarrers einige Ihrer Bände. In seiner Begeisterung über den Inhalt hat er sie illustriert, und nun komme ich nach seinem Tode, um Ihnen die Kunstwerke zu verkaufen. Ich bekomme dadurch die Mittel zu meinem Unterhalte, und Sie werden noch viel berühmter werden, als Sie jetzt schon sind, und die großartigsten Geschäfte machen, denn wenn Ihre Werke mit solchen Bildern erscheinen, muß sich der Absatz derselben in einem Jahre schon auf Hunderttausende belaufen.«
»Liebe Frau, nach Berühmtheit trachte ich nicht; ich verfolge ganz andere, höhere Zwecke. Ich will Freund meiner Leser sein, weiter nichts. Was war Ihr Mann, ehe er Grenzbeamter wurde?«
»Unteroffizier. Er hat in Frankreich einen Säbelhieb über den Kopf bekommen; das hing ihm in der letzten Zeit so an, daß er dispensiert werden mußte.«
Sie zieht ein Papierpaket aus der Tasche und gibt es mir. Es enthält die Illustrationen. Ich öffne es und lasse Blatt um Blatt durch meine Hände gleiten. Sie glichen den Bleistiftversuchen eines Tertianers. Die Unterschriften beziehen sich auf Namen und Situationen, welche in meinen Reiseerzählungen vorkommen; wäre das nicht, so wüßte man gar nicht, was diese »Kunstwerke« vorstellen sollen. Arme Frau! Anstatt zornig über sie zu werden, muß ich ein herzliches Mitleid mit ihr fühlen. Der Säbelhieb hat nicht nur den Kopf, sondern auch den Geist ihres Mannes getroffen gehabt, wenngleich diese Verletzung erst später zu bemerken war. Und sie, die Kenntnislose, hat an seine Befähigung geglaubt! Während ich darüber nachsinne, wie ihr die Wahrheit ohne Kränkung und allzu schwere Enttäuschung mitzuteilen ist, richtet sie ihr Auge mit ruhelosem, fast fieberhaftem Blick auf mich und zieht, wohl um mein günstiges Urteil zu beschleunigen, einen Brief hervor, den ihr Pfarrer an mich geschrieben hat. Ich lese ihn. Es ist so, wie ich dachte. Sie ist durch Leiden geistesschwach geworden und hält jeden, der behauptet, daß die Zeichnungen nichts taugen, für einen Feind; sie war durch nichts davon abzubringen, zu mir zu fahren, um mir die Bilder zu einem hohen Preis zu verkaufen. Ich muß sehr vorsichtig verfahren und lade sie ein, einige Tage bei mir zu wohnen, bis ich mir die Angelegenheit überlegt habe. Sie geht vergnügt darauf ein, und ich begebe mich in die Küche, die ich sonst nur höchst selten betrete, um meine darüber nichts weniger als entzückte Frau zu bitten, mir nicht bös zu sein.
Es wird gedeckt, und wir setzen uns mit der neuen Bewohnerin unsers Hauses zu Tische. Ich habe kaum die Suppe gekostet, so muß ich den Löffel wieder weglegen, weil schon jetzt der hiesige Herr mit seinem Breslauer Besuche kommt. Die guten Leute stellen sich zwei Stunden früher ein, weil sie gerade jetzt zufälligerweise hier vorbeigegangen sind! Ob sie stören, das ist Nebensache. Der Breslauer Leser ist ein dicker, jovialer Herr mit einem Vollmondsgesicht; ich kann ihm nicht zürnen, habe aber Hunger und erlaube mir deshalb eine sehr bescheidene und versuchsweise Hindeutung darauf, daß meine Frau bei
Weitere Kostenlose Bücher