Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
Familie seien und nur möglichst reich und vornehm verheiratet werden dürfen. Ganz selbstverständlich konnte diese seine Meinung nicht ohne Einfluß auf seine Enkeltochter geblieben sein; das bemerkte ich sehr wohl; und vielleicht war es die höchste Zeit, sie diesem Einflusse zu entziehen. Ich antwortete darum, als er mich bat, heut bei ihm zu Mittag zu essen:
»Sehr gern», doch nur unter der Bedingung, daß ich nicht nur Ihretwegen, sondern auch um Ihrer Tochter willen kommen darf.«
Er horchte überrascht auf.
»Um Emmas willen?« fragte er.
»Ja.«
»Wie meinen Sie das? Haben Sie Absichten auf sie? Wollen Sie sie etwa heiraten?«
»Allerdings.«
»Alle Wetter! Davon weiß ich kein Wort! Das ist aber doch wohl nur Ihre Absicht! Was sagt denn sie dazu?«
»Sie ist einverstanden.«
Da sprang er von dem Stuhle auf, wurde tiefrot im Gesicht und rief aus:
»Daraus wird nichts, nichts, nichts! Meine Tochter ist nicht dazu geboren und nicht dazu erzogen, daß sie sich mit einem armen Teufel durch das Leben schindet! Die kann andere Männer kriegen. Die soll mir keinen Schriftsteller heiraten, der, wenn es gut geht, nur von seiner Berühmtheit und nur vom Hunger lebt!«
»Denken Sie dabei etwa auch mit an meine Vorstrafen?« fragte ich. »Das würde ich gelten lassen!«
»Unsinn! Das kümmert mich nicht. Es laufen Hunderttausende in der Freiheit herum, die in das Zuchthaus gehören! Nein, das ist es nicht. Ich habe ganz andere Gründe. Sie bekommen meine Tochter nicht!«
Er rief das sehr laut aus.
»Oho!« antwortete ich.
»Oho? Hier gibt es kein Oho! Ich wiederhole Ihnen, Sie bekommen meine Tochter nicht!«
Er stampfte bei jedem dieser Worte, um ihren Eindruck zu verstärken, mit dem Spazierstock auf den Boden. Es juckte mir förmlich in der Hand, sie ihm auf die Achsel zu legen und ihm lachend zu sagen: »Gut, so behalten Sie sie!« Aber dagegen bäumte sich das väterliche Erbteil in mir auf, der zähe, unbedachte Zorn, der niemals das Richtige tut. Ich brauste nun auch auf:
»Wenn ich sie nicht bekomme, so nehme ich sie mir!«
»Versuchen Sie das!«
»Ich werde es nicht nur versuchen, sondern ich werde es tun, wirklich tun!«
Da lachte er.
»Sie werden sich nicht zu mir wagen. Ich verbitte mir von jetzt an jeden Besuch!«
»Das versteht sich ganz von selbst. Aber ich sage Ihnen im voraus: Sie werden seiner Zeit persönlich zu mir kommen und mich bitten, Sie zu besuchen. Jetzt aber leben Sie wohl!«
»Ich Sie bitten? Nie, nie, niemals!«
Er ging. Ich aber schrieb drei Zellen und schickte sie seiner Tochter. Die lauteten: »Entscheide zwischen mir und Deinem Großvater, Wählst Du ihn, so bleib; wählst Du mich, so komm sofort nach Dresden!« Dann reiste ich ab. Sie wählte mich; sie kam. Sie verließ den, der sie erzogen hatte und dessen einziges Gut sie war. Das schmeichelte mir. Ich fühlte mich als Sieger. Ich tat sie zu einer Pfarrerswitwe, die zwei erwachsene, hochgebildete Töchter besaß. Durch den Umgang mit diesen Damen wurde es ihr möglich, sich Alles, was sie noch nicht besaß, spielend anzueignen. Von da aus bekam sie Gelegenheit, eine selbständige Wirtschaft führen zu können. Auch ich arbeitete mit gutem, ja mit sehr gutem Erfolg. Ich wurde bekannt und bezog sehr anständige Honorare. Ich hatte mit meinen »Reiseerzählungen« begonnen, die sofort in Paris und Tours auch in französischer Sprache erschienen. Das sprach sich herum; das imponierte sogar dem »alten Pollmer«. Er hörte von Kennern, daß ich im Begriff stehe, ein wohlhabender, vielleicht gar ein reicher Mann zu werden. Da schrieb er an seine Tochter. Er verzieh ihr, daß sie ihn um meinetwillen verlassen hatte, und forderte sie auf, nach Hohenstein zu kommen, ihn zu besuchen, mich aber mitzubringen. Sie erfüllte ihm diesen Wunsch, und ich begleitete sie. Aber ich ging nicht zu ihm, sondern nach Ernstthal zu meinen Eltern. Er schickte nach mir; ich aber antwortete, er wisse wohl, was ich ihm vorausgesagt habe. Wenn er mich bei sich haben wolle, müsse er persönlich kommen, mich einzuladen. Und er kam!
Ich fühlte mich wieder als Sieger. Wie töricht von mir! Hier hatte nicht ich, sondern nur die Erwägung gesiegt, daß ich es wahrscheinlich zu einem Vermögen bringen werde, und es gab sogar die Gefahr für mich, daß diese Erwägung nicht allein vom Großvater getroffen worden war. Uebrigens bat er sie, bis zu unserer Verheiratung bei ihm in Hohenstein zu bleiben. Ich hatte nichts dagegen und gab mein Logis in
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