Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Einschiffen ihrer Habseligkeiten begann. Das große Fährboot hatte ja Platz vollauf. Betten und Wiege, die Bibel und die Kuckucksuhr, die Kinder und die Ziege wurden geladen, und ehe die Sonne unter war, fuhren alle Insassen von Kahniswall, nichts weiter als die kahlen Wände zurücklassend, nach der Insel im Seddin-See hinüber. Da der Seddin-See nur eine Insel hat, so muß es Robins Eiland gewesen sein. Hier bezogen sie zunächst ein Camp, in dessen Mitte Kahnis aus Balken und Bohlen eine Wohnstätte zusammennagelte, die halb Blockhaus, halb Bretterhütte war. Der Winter setzte alsbald hart ein; aber wer wie Kahnis drei Jahre lang von dem Führpfennig der Gosener Kolonisten und dem Marktertrage seines Fischkastens gelebt hatte, der war eben nicht verwöhnt. Zudem verstand er sich darauf, den Unbilden der Witterung zu begegnen. Schilf, das er in dichten Bündeln auf sein Block- und Bretterhaus packte, dazu ein darüber gebreitetes altes Segeltuch gaben Schutz gegen Regen und Kälte; eine Feuerstelle war bald aufgemauert, und lange bevor die Ostersonne im Seddin-See sich spiegelte, fand Kahnis, daß die alte Kuckucks-Wanduhr auf der Insel geradesogut schlüge wie daheim auf Kahniswall. Die Ziege gab Milch; an Fischen und Sumpfvögeln war Überfluß, und als die Brutzeit herankam, lagen die Enten- und Kiebitzeier zu vielen Hunderten rings um die Insel her. Allsonnabendlich brachte er seine Fische nach Köpenick, kaufte Wochenbrot und beobachtete das politische Wetterglas, vor allem die Köpenicker und ihre Einquartierung. Was er da sah und hörte, machte ihn nur fester in seinem Entschluß, das Kriegswetter erst vorüberziehen zu lassen; das Franzosenzeug war gerade so, wie er es sich gedacht hatte, aber das Weiberzeug war viel schlimmer. Er beglückwünschte sich deshalb zu seiner Inseleinsamkeit und fuhr jedesmal fröhlich wieder heim.
Im Spätsommer Anno 8 hieß es: ›Jetzt ziehen sie ab.‹ Kahnis aber schüttelte den Kopf und sagte: ›Sie sind noch da; und wenn sie nicht mehr da sind, so kommen sie wieder; Hanne, wir wollen bleiben, wo wir sind.‹ Und darin war unser Robinson auf Robins Eiland klüger als mancher Allerklügste. Denn sie kamen wirklich wieder.
Kahnis freilich, als er so sprach, hatte nicht seine Klugheit, sondern nur seine Neigung befragt. Das Wahre von der Sache war: er wollte nicht mehr fort. Aus dem Schlupfwinkel, den er zwei Jahre früher als ein Flüchtling betreten und zunächst nur wie einen Lagerplatz eingerichtet hatte, war längst ein ansehnliches Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und Keller geworden, das nicht mehr inmitten einer schilfüberwachsenen Insel, sondern im Zentrum eines von Garten- und Ackerstreifen durchzogenen und von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaßten Wiesenrondelles lag. Hier gruben und pflanzten Mann und Frau wie die ersten Menschen, und als endlich, nach zweimaliger Entscheidung, nach Leipzig und Waterloo, wirklich der große Frieden kam und Kahnis nun ehrenhalber sagen mußte: ›Hanne, jetzt ist es Zeit‹, da senkte diese den Kopf und erklärte, daß sie bleiben wolle. Das war es, was er zu hören gewünscht hatte. Nun gestand er ihr auch, daß er nicht aus allgemeiner Franzosenfurcht, sondern aus ganz besonderer eifersüchtiger Sorge vor den Nansoutyschen Kürassieren auf die Insel gezogen sei. Hanne machte kein Aufhebens von diesem Geständnis. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und entschlug sich aller tugendlichen Empfindsamkeit. Viel Nachdenken war überhaupt nicht ihre Sache.
So gingen die Jahre. Die Kinder wuchsen heran, verließen Haus und Insel; endlich starb auch die Frau. Kahnis stellte den Sarg auf sein bestes Boot und fuhr quer über den See, um der Toten auf dem Schmöckwitzer Kirchhof ein christliches Begräbnis zu geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf fest, war er, der seit langen Jahren mehr mit Gott als mit den Menschen gelebt hatte, in seinem Glauben immer lebendiger geworden. Am Ufer warteten die Träger, Schmöckwitzer Kossäten. Als sie den Sarg niederließen, da, zum ersten Male, kam ein Schwanken in sein Herz, und er erschrak, wenn er an die Öde von Robins Eiland dachte; denn er war nun ganz allein. Aber die Anhänglichkeit an den Boden, den er sich errungen hatte, siegte auch diesmal, und gutes Mutes kehrte er in seine Einsamkeit zurück. Die Insel war seine Welt geworden.
Sein Leben blieb dasselbe: allwöchentlich fuhr er zu Markt und bot seine Fische feil, wie er es vierzig Jahre lang getan hatte.
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