Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Er war wohlgelitten in Köpenick; sie kannten ihn alle; und nur zuzeiten blieb er aus. Dann lebte er mit den Köpenickern in Fehde. Oft um kleiner Dinge willen, aber auch um großer. 1848 ließ er sich ein halbes Jahr lang nicht sehen und kam erst wieder, als ›Vater Wrangel‹, dessen Bild er damals mit einer breiten Goldborte an die Stubentür klebte, seinen siegreichen Einzug gehalten hatte. Die Köpenicker, als sie ihn wiedersahen, vergaßen allen politischen Hader und sagten nur: ›Alte Leute sind wunderlich.‹ Meine Geschichte geht zu Ende. – Es war am ersten Sonnabend des Monats Oktober 1850. Kahnis blieb aus. Die Köpenicker rechneten nach, worin sie’s wohl wieder versehen haben könnten, konnten aber nichts finden. Daß Kahnis einmal eines von ihm und seiner Laune ganz unabhängigen Zwischenfalles halber fehlen könne, das fiel niemanden ein. Darin waren die Schmöckwitzer klüger. Diese, als er Tages darauf in ihrer Kirche fehlte, wußten, was geschehen war. Sie fuhren hinüber und fanden ihn neben der Schwelle seiner Tür, auf einem Bündel Schilf sitzend, das er sich seit lange, als seine Altersbank, zurechtgelegt hatte. Es war ersichtlich, daß er, die warme Herbstsonne suchend, an dieser Stelle eingeschlafen war, um nicht wieder zu erwachen. Die Verwandtschaft der Frau richtete ihm ein groß Begräbnis her; der Schmöckwitzer Küster schrieb an die beiden Söhne, die, mit sieben Enkeln und anderthalb Hand breitem Krepp um den Hut, von Berlin und Rathenow herüberkamen, die ganze Köpenicker Fischerzunft aber, die, schon zwei Stunden vor Beginn der Feierlichkeit, bei der Insel angefahren war, folgte jetzt in dreißig Booten nach Schmöckwitz hinüber. Der Prediger, der den alten Mann sehr geliebt und seiner Gemeinde als das Bild eines schlichten und frommen Christen oft empfohlen hatte, sprach über das Schriftwort: ›Ei, du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenigem getreu gewesen, ich will dich über viel setzen; gehe ein zu deines Herren Freude.‹ Und denselben Spruch hat auch der Schmöckwitzer Tischler auf das Grabkreuz unseres Freundes geschrieben.«
»Dies Grab müssen wir besuchen«, rief jetzt Kapitän Backhusen mit Emphase; »das ist mein Mann; allein sein, nichts von der Welt wollen!« Und Lieutenant Apitz und unser Supercargo, trotzdem sie als Typen ausgesprochenster Gesellschaftsneigung gelten konnten, stimmten begeistert bei. Denn mit Nachdruck ausgesprochene Sätze sind ihres Einflusses immer sicher.
Wir waren inzwischen bis in unmittelbare Nähe der Schmöckwitzer Brücke gekommen. Kapitän Backhusen gab ein Zeichen mit Horn und Sprachrohr, und gleich darauf, während die halbe Dorfjugend herzudrängte, hob sich eine der Brückenklappen und gestattete uns, unter Salut und Zoll, die Einfahrt aus dem Seddin-See in den Zeuthener See zu machen. Unsere erste Station war erreicht: Schmöckwitz. Die »Sphinx« legte an; wir stiegen ans Ufer, um auf eine halbe Stunde wieder terra firma unter den Füßen zu haben.
Schmöckwitz, eine Art Kapitale dieser Gegenden, wirkt doch ganz nur wie ein Dünendorf an der Ostseeküste. Öd und ärmlich. Hinter Sandhügeln versteckt, in tiefen Löchern und Einschnitten liegen einzelne Häusergruppen, während sich alte und junge Kiefern, oft mehr waagerecht als aufrecht stehend, an den sandigen, mit Strandhafer überwachsenen Abhängen entlangziehen. Inmitten des Ganzen die Kirche, ein trister Bau, aus dem Anfang dieses oder vielleicht auch des vorigen Jahrhunderts.
Sowenig einladend nun das Äußere derselben war, so drang ich doch, nach vielfacher auch auf diesem Gebiete gemachter Erfahrung, die jedes Vorwegurteil verpönt, auf Besuch des Inneren. Denn die trivialste märkische Dorfkirche kann immer noch das Rührendste und die häßlichste immer noch das Schönste verbergen. Hier freilich war ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben. An weißgestrichenen Wänden hingen die üblichen Gedächtnistafeln; unter der Kanzel stand ein bestaubter Altar, beiden gegenüber aber, dicht gedrückt unter der Decke hin, blinkten die dünnen Röhren eines Harmoniums, dieses verkümmerten Enkelkindes der Orgel. In der Mitte der Kirche paradierte ein Kronleuchter, zum Andenken an die Jahre 13, 14 und 15 gestiftet. Er zeigte die Form einer Kosakenmütze und war mit einem in Blech geschnittenen Eisernen Kreuz geschmückt. Derselben Zeit gehörte auch eine Landsturmfahne an, die auf ihrem roten Flanellappen einen schwarzen Adler und die Bezeichnung
Weitere Kostenlose Bücher