Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
sein, wenn er nur halbwege süß ist. Und schicke mir auch das Gesangbuch. Es liegt linker Hand in meinem Fach.«
Dieser Brief vom 25. ist unterzeichnet »Dein unglücklicher E. von A. « Ob dies »unglücklich« ernsthaft oder scherzhaft gemeint war, ist nicht recht ersichtlich, ich vermute jedoch das erstere. »Mein Onkel, der Oberst von Werder«, so heißt es nämlich zwei Tage später, am 27., »hat mich wissen lassen, daß ich wahrscheinlich nicht länger im Regimente bleiben könne. Das ist mir unangenehm. Doch laß ich mir deshalb keine grauen Haare wachsen. Mein Capitain hat ihm alles gesagt, und ich habe sein ganzes Mißfallen erregt. Bei seinem letzten Besuch las ich in einem Deiner Bücher, worauf er mir sagte: ›ich sollte mich lieber mit etwas Nützlicherem beschäftigen, statt Romane zu lesen‹. Wie kann der gute Mann nur glauben, daß ich jetzt zu etwas anderem Lust hätte! Vorzüglich aber ist er darüber aufgebracht, daß ich, wie er sich ausdrückte, mit lüderlichen Referendarien und sogar mit einem Küper Umgang hätte. Kommt es zum Schlimmsten und werd ich entlassen, so findet ein junger Kerl wie ich auch wohl sonst noch sein Fortkommen, in einer andern Stadt oder einem andern Land oder unter einer andern Zone. Leute meines Schlages sind nie ganz zu verachten und werden als Soldaten zum Totschießen immer gesucht. Mißlingt aber alles, so befreit mich wohl ein Lot Pulver von meiner Qual. Es sollte mir aber leid tun, scheiden zu müssen, denn erstens wär es doch schade um ein so fideles Haus und zweitens, weil ich verliebt bin.«
Nun folgen sentimentale Betrachtungen, eine ganze Seite lang, die dann wieder in Zynismen auslaufen.
II
Der vorstehende Brief vom 27. November ist der letzte vor der Tat geschriebene. Vielleicht, daß diese schon beschlossene Sache war, als er drei Tage später (am 30. November) aus dem Arrest entlassen wurde, wenigstens war ihm der Offizier, der seinem Rachegelüste zum Opfer fiel, seit lange verhaßt. Einige behaupten, daß auch Eifersucht mit im Spiele gewesen sei. Gleichviel, am 5. Dezember früh geschah die Tat, Arnstedt selbst machte die Meldung davon und wurde, kaum aus dem Gefängnis entlassen, aufs neue dahin abgeführt. Die vorgesetzte militärische Behörde nahm es, wie selbstverständlich, sehr ernst, sah von allen Rücksichten ab und ließ ihn in Ketten legen. Er machte jedoch das Unmögliche möglich und führte, trotz dieser Ketten und sonstiger Behinderungen, eine lebhafte Korrespondenz, die nicht bloß bruchstückweis wie die vorhergehende, sondern in ihrer Totalität mir vorliegt. Ihr charakteristischer Zug ist ein ungeheures Maß von Selbstsucht und Leichtsinn. An diesem Leichtsinn nimmt einigermaßen auch der Freund, Adalbert von L., teil, an den sich die Briefe richten. Bis zuletzt sprechen sie von Ball, Vereinen, Cotillonorden und Liebesgeschichten. Aber das ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist der Gefühlsmischmasch, das entsetzliche Durcheinander von Sentimentalität und Obszönität, in welcher Hinsicht diese Briefe vielleicht einzig dastehen und geradezu ein psychologisches, sicherlich ein zeitbildliches Interesse beanspruchen dürfen. Oft wechselt der Inhalt von Zeile zu Zeile; Liebe zu Mutter und Geschwistern, Anflüge wirklicher Herzensneigung, Anruf und Gebete zu Gott, Gedichte, Flehen um Erhörung, Freundschaftsversicherungen (auch ehrlich gemeinte), Rachegelübde, Vergiftungspläne, Sammetrock, Blumensträuße, Pikschlitten und Gitarre, Witzeleien und Zynismen – in diesem Mengemus geht es fort bis zur letzten Stunde, bis ans Schafott. Von Reue keine Spur; es ist, als ob er einfach ein ihm feindliches Tier über den Haufen geschossen habe. Was ihn beschäftigt, ist nur die Frage: »Komm ich bald wieder frei? Und wie hübsch wird es dann sein!« Eine bodenlose Rücksichtslosigkeit in jedem Wort, und nur immer auf Augenblicke dämmert in ihm die Vorstellung von dem Ernst seiner Lage. Eine wahre Höllenlektüre, deren Kernstücke sich der Mitteilungsmöglichkeit entziehen , aber deren anständigere Stellen auch vollkommen ausreichen, um die Häßlichkeit jener halben, unehrlichen und verlogenen Zeit der dreißiger Jahre zu demonstrieren.
Emil von Arnstedts erster Brief aus dem Gefängnis
30. Dezember 1836
Mein lieber Adalbert. Mit Dir unterhalte ich mich am liebsten, denn Du bist mein Vertrauter. Daher sollst Du etwas von jenem Morde hören. Du reistest doch Freitag abend ab, an jenem Tage, dem der schönste Abend
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