Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
seiner Verhältnisse oder eine günstigere Beleuchtung oder die Marcus-Fassade oder die lachende Heiterkeit seiner Läden und seines Lebens und Treibens ist, stehe dahin; aber es ist eine Tatsache, er gefällt mehr und absorbiert alles Fremden-Leben.
Die Piazetta mündet auf einen Quai, an dessen kleinen Landungsbrücken zahllose Gondeln liegen; nach links hin läuft dieser Quai erst an der einen Flanke des Dogenpalastes hin, überbrückt dann einen Kanal (Ponte di Paglia) und nimmt nun weiterhin den Namen Riva delli Schiavoni an. Nach rechts hin läuft der Quai nur noch eine kurze Strecke an Garten und Gitter des Palazzo reale hin; hier hat der Quai ebenfalls einen eigenen Namen, den ich jedoch vergessen habe. – An der Riva liegen die Dampf-Schiffe, die nach Triest, Chioggia und dem Lido fahren. Hier singen abends die Schiffer volkstümliche Weisen, hier ist noch echtes venezianisches Leben, während auf dem Marcusplatze meist nur Fremde aller Nationen getroffen werden. – Links von der Ponte della Paglia, den schmalen Kanal zwischen Dogenpalast und dem Gefängnisgebäude überbrückend, ist die Seufzerbrücke, Ponte dei Sospiri. – Der Rialto ist mitten in der Stadt und überbrückt mit einem mächtigen Bogen den Canalgrande, gerade halben Wegs zwischen dem Bahnhof und der Piazetta.
Die Post, die sich früher in einem alten Palast am Canal grande befand, ist jetzt in verhältnismäßig geringer Entfernung vom Marcusplatz. Man biegt in die Gasse neben dem Uhrturm ein und gelangt dann sehr bald an den ersehnten Platz der Poste restante-Briefe. Ich fand daselbst die Korrekturfahnen vor, die mir Goldiner getreulich nachgeschickt hatte.
Flaniert. Abwechselnd Eis, Absinth, Kaffe. Um 6 ins Hôtel zum Diner. Frau v. Noville und Tochter an der Table d’hôte getroffen. – Um 9 mit Novilles auf den Marcusplatz. Um 10 mit Emilie zu Biere im Restaurant Bauer.
Dienstag d. 6. Oktober. Zweiter Tag in Venedig
Emilie Fontanes Aufzeichnungen vom 6. Oktober
Emilie mit Novilles ausgeflogen. Ich im Hôtel geblieben, um die Fahnen zu korrigieren. – Um 2 aus. Erst Frühstück im Restaurant. Dann in die Kirche Santa Maria dei Frari. Sie enthält die Grabdenkmäler einer Anzahl von Dogen und andren Größen der Republik, namentlich auch die Grabdenkmäler Tizians und Canovas, beide einander gegenüber. Ich finde beide nicht besonders; sie verschwinden neben den großartigen Leistungen der Peter Vischerschen Kunst und Schule in Nürnberg, München, Innsbruck. Das dem Tizian errichtete Grabdenkmal ist kümmerlich; in der Rundbogenhalle einer Renaissance-Architektur sitzt der alte Meister, zwei symbolische Figuren neben sich, während hinter und neben ihm drei seiner berühmtesten Bilder in Basrelief wiedergegeben sind. Darunter das Hauptbild, die Assunta. Dies ist die billigste Manier, sich loszukaufen. So kann man 12 Denkmäler in einer Stunde komponieren; immer eine Büste oder Statue und die Werke des zu feiernden Meisters in Kopie drum herum. – Das Denkmal Canovas ist nicht viel besser, wenn ihm auch Geist und Eigentümlichkeit nicht abzusprechen ist. Man sieht eine Grab-Pyramide (die Fassade derselben reliefartig vorspringend), und drei trauernde Frauen-Gestalten, unter ihnen als 4. Figur ein Fackelträger, schreiten auf die halbgeöffnete Tür des Grabes zu. Von der andern Seite ein geflügelter Löwe, wie es scheint, in stillem Schmerz entschlummert, und neben ihm ein trauernder Genius. Dies alles klingt ganz gut und könnte bedeutend wirken, wenn nicht die Gestalten selbst alle tief in süße Weinerlichkeit getaucht wären. Es ist modern-sentimental und wirkt beinah unangenehm. Nur im ersten Moment wirkt die Eigentümlichkeit der Komposition sehr günstig.
Von Santa Maria dei Frari zur Academia delle belle Arti am Canal grande. Ich hatte nur noch Zeit zu einer flüchtigen Besichtigung der hier aufgehäuften Schätze, die bei diesem ersten Besuch einen geringeren Eindruck auf mich machten, als ich erwartet hatte. Die beiden berühmten Tizians: Marias erster Gang in den Tempel (als etwa l0jähriges Kind) und selbst die »Assunta« nahmen mein Herz nicht gefangen. Erstres wirkte ein klein wenig komisch, letztres schien mir hinter der »Himmelfahrt Marias« desselben Meisters in Verona zurückzubleiben. (Ich wurde aber später total bekehrt.)
Von der Akademie auf den Marcusplatz. Den Campanile bestiegen; Sonnenuntergang. Kostbares Landschaftsbild, das, wie Wichmann in seinen Notizen sehr richtig bemerkt, nicht
Weitere Kostenlose Bücher